Verleumdung
hörte sie plötzlich, wie der Taxifahrer wendete und Gas gab.
»Idiot!«
Offenbar war seine Geduld am Ende gewesen. Sie holte ihr Handy heraus, um ein neues Taxi zu rufen, überlegte es sich dann aber anders. Erst wollte sie sich ein wenig umsehen. Soweit sie es durch die Rückscheibe erkennen konnte, war der Wagen leer, und er parkte vor einem verschlossenen Tor, das sich nicht öffnen ließ.
Also ging sie um das Gebäude herum. An einem Fenster auf der Rückseite blieb sie stehen und versuchte hineinzusehen. Das Fenster war von außen so schmutzig, dass sie unmöglich etwas erkennen konnte, und sie holte ein Taschentuch heraus und wischte über die Scheibe.
Im selben Moment hörte sie Schritte.
»Lex, bist du das?«
53
J etzt nimm endlich ab«, murmelte er.
Aber Linnea ging nicht ans Telefon. Nach ihrem Gespräch hatte er ihr einen Auszug aus dem Protokoll seines Gesprächs mit Alexandra Neergaard geschickt, um ihr zu beweisen, dass er nicht einfach etwas erfunden hatte. Aufgrund ihrer Zweifel hatte er die Seiten anschließend erneut durchgelesen. Erst Linneas Ungläubigkeit hatte ihn dazu gebracht, sich alles noch einmal genauer anzusehen, und mit einem Mal war es ihm eiskalt den Rücken heruntergelaufen.
Erst jetzt, als er das Protokoll noch einmal las und sich in Erinnerung rief, wie das Gespräch verlaufen war, ging ihm auf, dass irgendetwas gehörig falsch lief. Damals war er nicht misstrauisch gewesen, weil es keinen Grund dafür gegeben hatte. Das war natürlich ein Fehler gewesen. Er hatte die Frau des Ermordeten automatisch wie ein Opfer behandelt, statt ihr gegenüber auf der Hut zu sein. Der unglücklichen Witwe war der Folterskandal im Irak keineswegs ausversehen herausgerutscht, wie er nun im Rückblick erkannte. Ganz im Gegenteil, sie hatte die Information ganz bewusst bei ihm platziert. Und das obendrein auf eine so intelligente Weise, dass sie ihn glauben machte, er hätte es ihr selbst entlockt.
Die Frage war nur, warum Alexandra Neergaard das getan hatte. Wovon hatte sie ihn mit diesem Manöver ablenken wollen? Warum hatte sie die Polizei auf einen vermeintlichen Mörder angesetzt, von dem sie genau wusste, dass er nicht schuldig war, und damit riskiert, die Person zu decken, die ihren Mann tatsächlich umgebracht hatte? Er konnte sich nur einen einzigen Grund vorstellen: Die Enthüllung des wahren Täters musste etwas mit ihr zu tun haben. Beispielsweise, wenn ihr Mann wegen des Handels mit dem illegalen Kulturerbe ermordet worden war, von dem Linnea erzählt hatte. Es war leicht vorstellbar, dass sie sich mit gefährlichen Typen eingelassen hatten, es Meinungsverschiedenheiten gegeben hatte und ihr Mann deshalb hingerichtet worden war. Genau wie seinerzeit auch der Iraker.
*
»Ist da jemand?«
Linnea öffnete die Tür einen Spalt weit, konnte in der dahinterliegenden Dunkelheit jedoch nichts erkennen. Sie war sich sicher, drinnen kurz zuvor Schritte gehört zu haben, aber jetzt war es wieder still. Sie stieß die Tür ganz auf und ließ sie offenstehen, damit Licht von draußen in den Raum fiel. Es war der Hintereingang zum Lagergebäude. Linnea nahm an, dass er anstelle der großen Pforte an der Vorderseite benutzt wurde, wenn man keine größeren Waren ins Gebäude zu schaffen hatte.
»Lex, bist du hier?«
Linnea rief noch einmal nach der Freundin. Als sie weder eine Antwort erhielt noch ein Geräusch hörte, ging sie ein paar Schritte und stand mit einem Mal mitten im Lagerraum. Er erinnerte an ein normales Warenlager mit verschiedenen Abteilen aus Holzplanken und Hasendraht, in denen Pappkartons und größere Transportkisten aus Holz standen. Einige davon waren geöffnet, und Linnea hatte fast das Gefühl, in Aladins Höhle gelandet zu sein.
Zwar gab es hier kein glänzendes Gold und Edelsteine, dafür aber Steinfiguren, Tontafeln, bemalte Holzkisten und Schmuck, der sicher eingepackt zwischen Stroh und zusammengeknülltem Zeitungspapier lag. Die Holzkisten ähnelten Sarkophagen, die jedoch anders aussahen als die, die sie aus Ägypten kannte. Zwischen den Zeitungsseiten mit arabischer Schrift lagen kleine Skulpturen, die eine Mischung aus Menschen und Tieren darstellten. Linnea nahm eine nach der anderen heraus und betrachtete sie in dem schwachen Licht. Die meisten Figuren hatten schon vor langer Zeit einen Arm oder Kopf verloren, wohingegen man an einigen feinen, guterhaltenen Exemplaren sogar noch einen Hauch von Farbe erkennen konnte. Und schließlich gab es
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