Verleumdung
davon, wenn man mit den großen Jungs spielt«, sagte die Frau auf Englisch.
Linnea presste ihren Mund zusammen. Sie traute sich nicht, etwas zu sagen, dabei hätte sie zu gern um Gnade gefleht oder um Hilfe gerufen. Doch sie fürchtete, dass das Messer, das fest gegen ihren Hals gepresst war, schon bei der kleinsten Bewegung durch ihre Haut dringen und ihre pulsierende Halsschlagader durchtrennen würde. Sie spürte, wie es an ihren Beinen warm wurde, aber sie konnte nicht unterscheiden, ob es ihre Blase war, die vor Angst nachgegeben hatte, oder ob die Nerven in ihrem Körper brannten.
»Pst, Süße. Wenn du dich entspannst, wird alles schnell vorbei sein. Und du kannst dich darüber freuen, dass dein Tod einen mächtigen Mann stürzen wird.«
Mit der freien Hand hielt die Frau ein Handy. Filmte sie etwa alles? Verzweifelt dachte Linnea, dass die Frau mit dem Messer sie in der Dunkelheit mit jemand anderem verwechselt haben musste. Aber das war inzwischen auch schon egal. Selbst wenn sie nicht das vorgesehene Opfer war, hatte sie bereits viel zu viel gesehen und würde nicht mit dem Leben davonkommen.
Linnea schloss die Augen und erwartete ihr Ende, doch im selben Moment ertönte ein Schrei.
Sie spürte das Messer noch fester an ihrem Hals, und jetzt schrie sie selbst auch. Doch mehr passierte nicht. Und plötzlich fiel ein Körper auf sie.
Linnea riss die Augen auf und sprang zur Seite. Das Messer landete mit einem Klirren auf dem Betonboden, und ihre Angreiferin ging zu Boden. Linnea war gerade noch rechtzeitig ausgewichen, um nicht von ihr mitgerissen zu werden.
Dann starrte sie voller Schreck direkt in Lex’ Augen.
»Was hast du hier zu suchen?«, zischte Lex.
In der einen Hand hielt sie noch immer die schwere Steinfigur, mit der sie die andere niedergeschlagen hatte.
»Du hast mir das Leben gerettet!«
Linnea stieß einen erleichterten Seufzer aus. Noch nie war sie so froh gewesen, einen anderen Menschen zu sehen. Lex nickte ihr zu und zeigte auf eine Tür am Ende des Lagerraums. Linnea warf einen schnellen Blick zu der Frau auf dem Boden und stellte fest, dass sie an der Stirn blutete. Sie lag vollkommen still da, als Lex erst mit dem Fuß das Messer wegstieß und es dann aufhob. Anschließend stieg Linnea über die Frau hinweg und folgte erleichtert Lex’ Aufforderung zu verschwinden. Sie ging in Richtung der Tür, auf die Lex zeigte, und die Freundin folgte ihr.
»Das muss die Frau gewesen sein, die Jonas umgebracht hat«, sagte Linnea dann.
Sie wollte gerade erklären, wie sie selbst zu dem Schluss gekommen sei, dass es eine Frau sein musste, als sie Jonas’ Leiche untersucht hatte, verkniff es sich dann aber. Lex antwortete lediglich: »Gut geraten!«
Linnea wunderte sich über ihren Tonfall und drehte sich in der Türöffnung um, um Lex zu fragen, was sie damit meinte. Zu spät bemerkte sie, wie Lex die Hand hob, die Steinfigur schwang und Linnea damit einen Schlag auf den Hinterkopf versetzte.
Dann nahm sie nichts mehr wahr.
*
Ihr Mund war voller Blut, und Peggy-Lee begriff erst nach einer Weile, dass der warme Fleischfetzen in ihrer Mundhöhle ein Stück von ihrer eigenen Zunge sein musste. Ihr Kopf dröhnte, und einen Moment lang fiel es ihr schwer, klar zu sehen.
Sie blieb kurz auf dem kalten Betonboden liegen und untersuchte alle Muskeln und Gelenke. Sie seufzte erleichtert. Sie war zwar von einer Sekunde auf die andere weg gewesen, aber offenbar rechnete niemand damit, dass sie so schnell wieder aufwachte. Jedenfalls hatte man sie ohne Aufsicht und Fesseln hier zurückgelassen. Ihr Jagdmesser war weg, aber die blonde Schlampe hatte sich natürlich nicht die Mühe gemacht, sie nach weiteren Waffen abzusuchen.
Peggy-Lee setzte sich halb auf, spuckte ein wenig Blut aus und streichelte liebevoll über ihre halbautomatische Kel-Tec P-32, die noch immer im Holster unter dem Rock steckte. Nebenan hörte sie ein hektisches Rumoren und hätte am liebsten den Kopf geschüttelt, aber er schmerzte noch zu sehr. Dachte dieses Weib wirklich, ein einziger Schlag reiche aus, um Peggy-Lee Wu außer Gefecht zu setzen?
Es war jedenfalls nicht das erste Mal, dass sie von den Toten wiederauferstand. Ihre kleine Nummer damals im Irak war ein Musterbeispiel dafür gewesen: Sie hatte schon lange nach einer Möglichkeit gesucht, zu verschwinden, als sie bei einer Patrouille von zwei Black-Water-Leuten aufgehalten wurde. Peggy-Lee hatte einen Aufständischen aus dem Verkehr gezogen, mit dem die beiden
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