Verleumdung
bevorstand. Doch für Love selbst stand heutzutage mehr auf dem Spiel. Das Risiko, das mit Blut an den Händen immer einherging, konnte er sich als Profi nicht mehr leisten.
»Stör ich? Soll ich später noch mal wiederkommen?«
Ein Mädchen um die zwanzig stand zwischen den Säulen am Beckenrand. Sie war leger gekleidet und trug einen Trainingsanzug, unter dem sich ein Paar dralle Brüste abzeichnete. In der einen Hand hielt sie ein Badelaken. Sie sprach Englisch mit einem leichten baltischen Akzent und lächelte ihn kokett an.
»Nein, du kommst genau richtig.«
Und als er ihr folgte, um eine Weile seine Grübeleien zu vergessen, dachte er, dass er es tatsächlich hin und wieder vermisste – das Töten.
*
Das Treffen im Politigården verlief genau so anstrengend, wie Linnea befürchtet hatte.
Offenbar hatte der Beamte aus dem Asylcenter Avnstrup ausgerecht kurz vor ihrer Ankunft angerufen. Er hatte in den Archiven nachgesehen und herausgefunden, dass der Mann Firaz Khalid hieß. Adam hatte den Iraker seinerzeit selbst befragt, als dieser Asyl beantragt hatte und in der Sjælsmark-Kaserne untergebracht worden war. Er konnte berichten, dass Khalid sein monatliches Verpflegungsgeld zuletzt im November 2008 abgehoben hatte. Das passte ausgezeichnet zu dem von Linnea ermittelten Todeszeitpunkt. Das genaue Datum seines Verschwindens kannte niemand, aber seit diesem Tag war er nicht mehr aufgetaucht, um sich sein Geld abzuholen. Außerdem hatte er seinen Schrank in der Jugendherberge in Holbæk, wo er zuletzt gewohnt hatte, nicht geleert. Das konnte ebenfalls ein Indiz dafür sein, dass er diesen Ort nicht aus freien Stücken verlassen hatte. Andererseits hatte der Schrank auch nichts von Wert enthalten, und der restliche Inhalt war längst entfernt worden. Der Zeitpunkt passte ausgezeichnet. Ob es sich tatsächlich um den gesuchten Mann handelte oder nicht, war vorläufig noch immer eine offene Frage, die Vizepolizeikommissar Richard Bodilsen nicht mit Linnea zu diskutieren gedachte.
»Aber falls es noch andere Dinge gibt, von denen Sie uns nichts erzählt haben, dann sollten Sie das jetzt nachholen.«
Er warf eine Zeitung vor sie auf den Tisch und blätterte dann demonstrativ zu dem Artikel über den Mord. Tage Ewald, der am Fenster stand und versuchte, ein wenig frische Luft zu schnappen, machte im Hintergrund eine entschuldigende Geste. Im Internet waren nur die Bilder des rekonstruierten Kopfes zu sehen, doch in der gedruckten Version nahm Linneas Gesicht mindestens ebenso viel Raum ein. Tatsächlich konnte man sich des Gedankens nicht erwehren, dass dies einer der wichtigsten Gründe für den Journalisten gewesen war, um seine sogenannte Geschichte aufzuziehen: dass er das Foto einer jungen Frau mit einem schiefen Lächeln und großen braunen Augen mit einer sensationellen Überschrift kombinieren konnte. Soweit Linnea sich erinnerte, stammte das Foto von einer Party in ihrem letzten Jahr an der Uni, auf dem sie zum einen wesentlich jünger und zum anderen viel stärker geschminkt war, als sie es sich für ein Porträt in der Zeitung gewünscht hätte. Sie wusste, dass man dieses Foto nicht einfach so im Netz finden konnte. Und sie hatte keine Ahnung, wie der Reporter an das Bild gekommen war. Allein beim Anblick wurde ihr schlecht.
»Sie deuten außerdem an, dass Sie ziemlich gut über den Fall informiert sind.«
Linnea zuckte irritiert mit den Schultern.
»Sie sollten lieber meinen Bericht lesen als die Schlagzeilen in Ekstra Bladet .«
Damit war das Gespräch im Prinzip beendet. Aber Linnea hatte die Gleichgültigkeit des Polizisten gegenüber seinem Fall provoziert.
»Warum hat man ihn nicht vermisst gemeldet?«, fragte sie deshalb. »Wenn er tatsächlich derjenige ist, den wir identifiziert haben.«
»Vorläufig wird das nur von Ihrem Freund Adam bestätigt. Aber abgesehen davon, ist wohl nicht viel Hokuspokus dabei, wenn die Sache irgendwo im System verlorengeht. Hier leben doch Gott weiß wie viele Iraker. Die Aufnahmelager sind reine Durchgangsstätten. Alle möglichen Leute kommen dort angerannt, um Asyl zu beantragen, und wollen ein Stück von unserem Wohlstandskuchen abhaben. Und sobald sie entdecken, dass sie keine Chancen haben, sich in unseren Staatskassen zu bedienen, verschwinden sie spurlos und versuchen ihr Glück anderswo.«
»Ihnen ist es also egal, dass Menschen einfach so verschwinden?«
»Hören Sie doch auf, mir die Worte im Munde umzudrehen!«
»Aber ganz realistisch
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