Verleumdung
vermutlich Spuren von Blut und Gewebe aufweisen, so dass man sie leicht identifizieren kann.«
Sie blickte Thor kurz an und setzte ihre Ausführungen fort: »Wenn ich mich nicht völlig irre, ist der andere Schuss gefallen, als sie miteinander gekämpft haben. Ich stelle mir das ganz konkret so vor, als hätten sie sich dabei umklammert. Du weißt schon, in einer Art Ringerstellung. Und dann muss es dem Mörder gelungen sein, seinem Opfer die Pistole an den Kopf zu setzen und es zu erschießen.«
»Und er war auf der Stelle tot.«
»Daran besteht kein Zweifel. Aber hier kommt das eigentlich Interessante: Anschließend muss das Opfer über den Täter gefallen sein, der wiederum unter dem Gewicht zu Boden ging. Vermutlich suchst du also eine Person, die viel schmächtiger gebaut ist als Neergaard. Es ist garantiert nicht schön, wenn dieser Mann auf einen fällt und man selbst klein und schmächtig ist und noch dazu erschöpft von einem erbitterten Kampf.«
»Aber wie lassen sich dann die gebrochenen Handgelenke erklären?«
»Ich glaube, dass der Täter unter dem Toten gefangen lag. Denk nur mal an die große Menge Blut am Tatort. Der Täter wurde bei dem Kampf wahrscheinlich auch angeschossen und hat viel Blut verloren. Vielleicht hat er aus diesem Grund sogar das Bewusstsein verloren und ist erst viel später wieder zu sich gekommen. Und zu diesem Zeitpunkt hatte die Totenstarre bereits eingesetzt.«
Thor runzelte die Stirn.
»Du meinst, der Mörder lag unter dem Toten gefangen und musste ihm die Handgelenke brechen, um sich zu befreien? Das klingt ziemlich phantastisch.«
Linnea zuckte mit den Schultern.
»Die Todesstarre ist leicht zu lösen, aber es bedarf enormer Kräfte, um einen Knochen zu brechen. Aber das ist vermutlich die einzige realistische Erklärung für die Frakturen. Und wenn du sie akzeptierst, weißt du jetzt zwei weitere Dinge über deinen Mörder. Das eine ist, dass der Betreffende überaus kaltblütig ist, denn es erfordert ziemlich gute Nerven, aus so einer Situation herauszukommen. Stell dir nur mal vor, du wachst unter einem toten Mann auf, der dich im Schwitzkasten hat!«
»Und das andere?«
»Ist das nicht offensichtlich? Bei allem, was ich gegen Chauvinismus und allgemeine Vorteile habe, bin ich bei einer so kleinen und schmächtigen Person doch nicht im Zweifel. Du suchst nach einer Frau.«
*
»Mein Beileid. Darf ich hereinkommen?«
Die Frau zögerte, und er konnte ihr ansehen, dass sie ihm am liebsten die Tür vor der Nase zugeschlagen hätte. Aber dann öffnete sie die Tür doch ganz, und Kevin Love durfte eintreten. Dabei hielt er ihr diskret einen Blumenstrauß hin, denn es war immerhin ein Kondolenzbesuch.
»Wir können uns in den Garten setzen. Einen Drink?«
Er nickte Alexandra Neergaard ruhig zu und sah sie in der Küche verschwinden, nachdem sie ihm den Weg auf die große Terrasse gezeigt hatte. Er ahnte, dass es ihr in erster Linie darum ging, ihn so schnell wie möglich wieder loszuwerden. Ihn daran zu hindern, im Haus herumzuschnüffeln. Aber das war zu erwarten gewesen. Dagegen erstaunte es ihn, dass sein verstorbener Geschäftspartner mit einer solchen Frau verheiratet gewesen war. Sie sah akzeptabel aus, besonders von hinten, da ihr Hüftschwung ein wenig auffälliger als diskret war. Aber in erster Linie war er sofort von ihren Augen gefesselt gewesen. Und ihm war sofort klargeworden, dass sie nicht das unschuldige Frauchen war, das von den Geschäften des Mannes nichts ahnte. Vielleicht sogar ganz im Gegenteil.
Auf dem Weg durch das Wohnzimmer ging ihm auf, dass dies eine interessante Herausforderung werden könnte. Er war froh, dass die kleine Garrotte in seiner Hosentasche bereitlag, und seine Finger wanderten immer wieder zu der Schnur und dem kleinen Holzstock. Er betrachtete Alexandra Neergaard mit großem Interesse, als sie wieder zu ihm auf die Terrasse kam. Sie tat es ihm gleich. Er zweifelte nicht daran, dass sie genau dasselbe überlegte wie er: ob es nicht leichter und einfacher wäre, sich des Gegenspielers hier und jetzt zu entledigen. Aber er war sich bei ihr nicht sicher, ob sie im Ernstfall tatsächlich kaltblütig genug wäre.
»Ihr Mann und ich haben lange eine gute Zusammenarbeit zur gegenseitigen Zufriedenheit gepflegt.«
»Ich weiß, und ich habe mir gedacht, dass sie an dieser Stelle nicht zu enden braucht.«
Alexandra Neergaard ließ sich neben Love auf der Holzbank nieder, so dass sie sehr nahe beieinander sitzen würden, wenn
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