Verleumdung
dem Irak sei. Er hatte dem Ganzen jedoch keine größere Bedeutung beigemessen. Er verfolgte bereits eine vielversprechende Spur. Ihm zufolge hatte der Fall seinen Ursprung wahrscheinlich in einer Verschwörung unter einer Gruppe früherer Soldaten im Irak, die in einen Folterskandal verwickelt waren, den man unter den Teppich gekehrt hatte. Dass auch der tote Iraker ein Souvenir aus seiner Heimat mit nach Dänemark gebracht hatte, sei doch nicht verwunderlich, meinte er.
»Aber warum lag es in seinem Grab?«
Darauf hatte Thor auch keine Antwort gewusst. Mit Sicherheit, so erklärte er, gebe es aber eine Verbindung zwischen den beiden Morden. Linnea war der Meinung, dass sie auch Nachforschungen über die Tontafel anstellen müssten. Sie weigerte sich, an die Erklärung zu glauben, dass Jonas nur wegen eines heimlichen Folterskandals ermordet worden war. Lex hatte ihr alles über den alten Fall erzählt und berichtet, dass Jonas damals in allen Anklagepunkten freigesprochen worden sei. Dadurch fiel es ihr schwer zu glauben, er wäre ermordet worden, weil er geheimes Wissen über den Skandal besaß. Falls Jonas sich tatsächlich etwas hatte zuschulden kommen lassen und in kriminelle Machenschaften verwickelt gewesen war, hätte Lex ihr davon erzählt. Doch mit dieser Argumentation konnte Linnea Thor nicht überzeugen. Natürlich war sie weder Detektivin noch Ermittlerin, aber sie fühlte sich von der Tatsache provoziert, dass die Polizei eine Spur ignorierte, weil sie nicht in ihre vorgefertigte Theorie zu dem Fall passte. Wenn die Tontafel Linnea helfen konnte, etwas über den Mord an dem Iraker herauszufinden, was die Polizei noch nicht wusste, konnte das vielleicht wiederum zu neuen Erkenntnissen über Jonas’ Tod führen.
»Es ist richtig, dass wir in früheren Auktionen recht viel davon im Angebot hatten. Zurzeit jedoch scheint nichts Neues in Aussicht zu sein«, sagte der junge Mann und riss Linnea aus ihren Gedanken.
»Dann sollte ich mich vielleicht bei denjenigen erkundigen, die schon was verkauft haben? Vielleicht haben sie noch mehr anzubieten.«
»Das lässt sich leider nicht bewerkstelligen«, erklärte der Mann. »Sowohl Käufer als auch Verkäufer bleiben anonym.«
Linnea schenkte ihm ihr lieblichstes Lächeln, für das er nicht unempfänglich schien, aber es änderte nichts daran. Sie bat darum, stattdessen mit Anne-Grethe Topsøe sprechen zu dürfen, mit der sie bereits korrespondiert hatte. Er nickte freundlich, verließ den Tresen, um seine Vorgesetzte zu holen.
Linnea blätterte so lange in dem aktuellen Auktionskatalog. Als die junge, blonde Angestellte am anderen Computer zu einem Ehepaar gerufen wurde, das einen wertvollen Teppich begutachtete, blickte Linnea sich hastig um und beugte sich über den Tresen.
Zu ihrer Enttäuschung war auf dem Bildschirm nur die Homepage des Auktionshauses zu sehen. Doch dann entdeckte sie das Icon für den Verlauf. Ihr junger Helfer hatte sich nicht aus dem Intranet ausgeloggt, sondern die Seite nur minimiert. Sie schnappte sich schnell die Maus und öffnete die Seite erneut. Genau wie erhofft, hatte er nach kürzlich verkauften Gegenständen aus der Gruppe »Ethnografica« gesucht. Anonymität hin oder her, das Auktionshaus musste schließlich eine Buchhaltung führen, und hier waren die Namen von Käufern und Verkäufern jeder einzelnen Auktion zu sehen. Sie traute sich nicht, die Excel-Tabellen genauer durchzulesen, aber das war auch nicht notwendig. Zwei Dinge fielen ihr nämlich sofort ins Auge: Mehrere der Gegenstände waren von ein und derselben Person gekauft worden, deren Namen sie überraschenderweise kannte. Und ein noch viel größerer Teil stammte auch von ein und demselben Verkäufer. Das ging allerdings nur aus einer Steuernummer hervor. Sie war sich nicht sicher, ob sie damit etwas anfangen konnte.
»Kann ich Ihnen helfen?«
Das blonde Mädchen war wieder an seinem Platz und starrte Linnea an, die sich noch immer über den Tresen beugte.
»Ich überlege nur … ob Sie vielleicht eine Visitenkarte für mich hätten?«
Das Mädchen holte eine Karte und reichte sie Linnea, die sich höflich bedankte und hoffte, dass sie sich nicht allzu verdächtig gemacht hatte. Dann nahm sie ihren Blackberry und mailte sich die Steuernummer zu, um der Spur später nachzugehen.
40
D as Büro lag im ersten Stock. Linnea holte die kleine Tontafel aus ihrer Tasche und setzte sich gegenüber von Anne-Grethe Topsøe. Linnea erklärte der Expertin vom
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