Verlieb Dich nie in einen Tierarzt
frei sein, abgesehen von dringenden Fällen. Ein Tierarzt ist immer im Dienst, und die Tiere kennen keinen Feiertag. Immerhin ist am Sonntag die Wahrscheinlichkeit am größten, daß ich frei bin. Und wenn ich Ihre Nummer beim telefonischen Auftragsdienst angeben darf, dann dürfte nichts schiefgehen. Halten wir also den Sonntag fest. — Wenigstens etwas, worauf ich mich freuen kann«, fügte er mit einem spitzbübischen Lächeln hinzu.
Nachdem nun das gemeinsame allsonntägliche Mahl ausgehandelt war, wälzten die beiden Männer die üblichen lokalpolitischen Probleme. Jill hatte ihr Nähzeug herausgeholt und stichelte emsig, als das Telefon läutete und eine Stimme nach Matthew fragte. Seufzend nahm er den Hörer.
»Am Apparat... Ja, ich komme hinaus. Versuchen Sie sie auf eine ebene Stelle zu bewegen. Halten Sie sie warm. Der Kopf muß bergaufwärts liegen... Ja, ein ungemütlicher Platz für eine Entbindung. Ich lasse mein Auto am Haus stehen, wenn mir jemand den Weg zeigen könnte. Aber bleiben Sie bei ihr, bis ich komme.« Er legte den Hörer auf und zuckte mit den Achseln. Voller Resignation, wie es schien.
»Es tut mir leid, daß ich so plötzlich aufbrechen muß, wo ich mich bei Ihnen so wohl fühle. Aber letzten Endes erwartet man das von einem Tierarzt, und das bin ich in erster Linie... Zum Glück habe ich meinen Overall im Auto. Es wird ein langer Weg dort raus, und die Kuh braucht vielleicht schnell eine Spritze.«
»Ist sie sehr krank?« fragte Jill, als sie ihn zur Tür begleitete.
»Sie wird Hilfe brauchen. Hat sich zum Kalben ausgerechnet an einen Hügelabhang gelegt und ist kopfüber hinuntergerollt. Was diese Viecher alles überleben. Vielleicht ist sie nach einer Spritze wieder wohlauf. Entschuldigen Sie bitte meinen überstürzten Aufbruch. Es tut mir wirklich leid. Schließlich habe ich nicht oft Gelegenheit, mit einem Mann wie Mr. Henderson mich zu unterhalten.«
»Nun, Sie können ja noch am Sonntagabend die Weltpolitik in Ordnung bringen«, scherzte Jill zum Abschied, und nach einem weiteren Dankeschön war er fort.
Es begann zu regnen, und Jill stellte sich die lange Autofahrt vor und den anschließenden Fußmarsch über schlammige Weiden. Ein hartes Leben, aber er schien dabei glücklich zu sein. Das sagte sie auch zu Großvater, als sie ins Wohnzimmer zurückkam, wo das Kaminfeuer für gemütliche Wärme sorgte.
»Ja, ein netter junger Mann, Ich freue mich schon darauf, ihn jeden Sonntag zu sehen. Es war nett von dir, Jill, daß du ihn eingeladen hast.«
Jill wurde stolz wie ein Pfau. Selbstverständlich war das pure Freundlichkeit. Und der Wunsch, Großvaters Kreis an geeigneten Freunden zu erweitern, spielte gewiß auch eine Rolle.
6
Inzwischen waren sie schon fünf Monate in Shepherd’s Crossing, und Weihnachten stand vor der Tür. Jill konnte jetzt bei dem Gedanken lächeln, daß sie sich am Anfang Sorgen gemacht hatte, Großvater würde nicht den passenden Umgang finden. Dabei war es schon fast zuviel des Guten. Die Schule, an der er so lange unterrichtet hatte, daß er schon fast zum Inventar gehörte, war eine der größten in Neuseeland, und so war es nicht weiter erstaunlich, daß auch in dieser Gegend ehemalige Schüler von ihm lebten. Von Alan Reid erfuhren sie, daß er sich in Shepherd’s Crossing niedergelassen hatte, und es dauerte nicht lange, bis sie ihn aufspürten. Alle wurden sie von Jill ermutigt, wann immer sie Lust hatten, vorbeizukommen. Und Großvater, der früher nicht viel von unangemeldeten Besuchern gehalten hatte, fand diesen Brauch neuerdings nicht mehr lästig.
Alan Reid kam regelmäßig und war stets ein willkommener Gast. Seine Meinung schätzte Robert Henderson besonders hoch, wenn er auch verschiedentlich anderer Ansicht war. Reid war gemäßigter Konservativer, Robert ein ähnlich lauer Labouranhänger. Das machte ihre Freundschaft noch fruchtbarer. Von seinen Farmerkünsten sprach Reid wenig. Er hatte schließlich einen guten Verwalter, und sein eigenes Interesse an der großen Farm war mehr theoretischer Natur: Konnte ein Mann mit dem entsprechenden Kapital und einiger Erfahrung im Geschäftsleben, aber ohne die leiseste Ahnung von der Landwirtschaft, eine Farm erfolgreich bewirtschaften lernen? Konnte das überhaupt jemand in diesen Tagen? Und wenn nicht, warum kümmerte sich die Regierung nicht intensiver um die Landwirtschaft? Jill, die die Unterhaltung teilweise verfolgte, mußte über die Argumente auf beiden Seiten
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