Verlieb Dich nie in einen Tierarzt
dasteht.«
»Er ist im Gehege, und sein Halfter ist dran, also kann ich ihn festhalten«, erwiderte der Junge ungeduldig. »Das wollten Sie doch, Mr. Webster, nicht wahr? Penny folgte mir freiwillig hier herein, als er das Brot sah. Er wird kein Theater machen. Außerdem hält er immer still, ist doch an Ausstellungen gewöhnt, wo er alles mögliche mitmachen muß.«
Jill konnte das nicht glauben. Sie hatte zwar auch schon auf Ausstellungen Stiere gesehen, aber nie über sie nachgedacht. Von einem zahmen Stier hatte sie allerdings noch nie etwas gehört, und diese besondere Züchtung kannte sie überhaupt nicht.
Deshalb jammerte sie noch immer: »Aber — ein Stier. Einem Stier kann man nie trauen.«
Da erst erkannte Matthew, daß sie wirklich Angst hatte. »Machen Sie sich seinetwegen keine Sorgen. Sie brauchen ja nur die Taschenlampe durch die Gatterstäbe zu halten. Er kann Ihnen gar nichts tun, auch wenn er wollte. Aber Penny würde es nicht einmal wollen. Er ist überall bekannt für seine Gutmütigkeit. Dutzendemal ist er vorgeführt worden, und Kinder lassen sich auf seinem Rücken sitzend fotografieren. Er gehört mit zur Familie und wird uns keinen Kummer machen. Meine einzige Sorge ist nur, wie ich die Nadel durch sein dickes Fell bringe. Du mußt ihn gut festhalten, Brian, falls er springt.«
»Springt!« wiederholte Jill schwach. »Er wird wild werden.«
Brian war empört. »Penny ist niemals gereizt, nimmt auch nie etwas übel. Er ist daran gewöhnt, wie eine Person behandelt zu werden — und er ist eine Person.«
Jill dachte: >Aber was für eine Person? Menschen können gewalttätig sein, zum Beispiel.< Sie sagte es nicht mehr, denn sie war am Ende. Die regenfeuchte Nacht, ihr erniedrigender Sturz, das Kind — besorgt um so ein Ungeheuer von Tier — und vor allem der Stier selbst, der sich von einem Kind festhalten ließ, gütig den Kopf senkte und augenscheinlich so tat, als ginge ihn die ganze Angelegenheit nichts an — das alles kam Jill wie ein Alptraum vor, und sie resignierte erschöpft, ohne noch irgendwelche Fragen zu stellen.
Statt dessen machte sie, was ihr gesagt wurde, nahm die Taschenlampe, kletterte auf die zweite Stange und hielt die Lampe so, wie Matthew das Licht brauchte. Als er die steril verpackten Instrumente herausnahm, hörte sie ihn murmeln: »Zum Glück sind Ihre Hände sauber, falls Sie etwas halten müssen.«
Sie klammerte sich fest an die Stangen und hielt die Taschenlampe gerade ruhig genug, während Matthew dem Stier die Spritze gab und dann zu nähen begann. Dabei war er so unbekümmert, als würde er einen alten Teppich flicken. Das ungewöhnliche Tier wehrte sich nicht, außer am Anfang, als Matthew mit der Injektionsnadel durch das Fell stechen mußte. Da brüllte er auf einmal so laut, daß Jill vor Schreck von den Stangen abrutschte und beinahe die Taschenlampe fallengelassen hätte.
»Halten Sie die Lampe ruhig. Dieses Fell ist daumendick«, fuhr Matthew sie an, um sie gleich wieder zu beruhigen, als er ihre Angst bemerkte. »Keine Bange, Jill. Er kann Ihnen kein Haar krümmen, wenn Sie hinter den Stangen sind — und er tut es auch nicht.«
Brian kraulte indessen den mächtigen Nacken des Stieres und flüsterte ihm zärtliche Worte zu. Der große Ausbruch aber, den Jill befürchtet hatte, blieb aus. Ab und zu verlagerte der Stier sein enormes Gewicht von einem Bein auf ein anderes, stöhnte vernehmlich und schnaubte so kräftig, daß Jill auf ihrem Gestänge beinahe wieder ins Wanken geriet. Als dann die örtliche Betäubung voll wirksam war, gab es keinerlei Probleme mehr, und die Naht war im Nu fertig. Zum Schluß bekam Penny noch Penicillin. »Damit wir ganz sicher sein können, daß die Wunde schnell heilt«, erklärte Matthew dem Jungen, der ihn ängstlich fragte: »Sind Sie sicher, daß es keine Komplikationen geben wird?«
»Ganz sicher. Und jetzt komm, führ ihn hinaus und vergiß den kleinen Unfall. Penny wird keinen Kummer haben.«
»Aber wenn er in der Nacht Wundfieber bekommt?«
»Das wird er nicht. Aber du kannst ihn ja in der Nähe des Hauses unterbringen und deinem Vater alles erzählen. Wird er spät kommen?«
»Nein. Diese Treffen dauern meistens bis kurz nach neun. Sie wollten mich eigentlich nicht allein hier lassen, aber ich sagte ihnen, daß ich nun alt genug wäre. Es ist so dumm, die ganze Zeit im Auto zu sitzen und auf das Ende des Treffens zu warten. Wenn die anderen Jungen das erfahren, lachen sie mich aus.« Brian hatte
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