Verlieb Dich nie in einen Tierarzt
auf die Beine gestellt, ohne auch nur eine Sekunde mit einer zärtlichen Umarmung zu vertrödeln. Er richtete auch den Strahl der Taschenlampe nicht auf sie, um zu sehen, ob sie vielleicht verletzt war. Aber das empfand sie in diesem Augenblick eher als Glück. Denn über und über mit Schlamm bedeckt, sah sie nicht besonders attraktiv aus. Sie spuckte als erstes den Schlamm aus, der ihr den Mund verklebte, und versuchte dann den ärgsten Dreck am Regenmantel abzuputzen. Dann rubbelte sie ihr Gesicht mit ihrem Taschentuch ab, ohne den geringsten Erfolg. Das Taschentuch war viel zu klein, und so verschmierte sie nur alles gleichmäßig im Gesicht. Sie hätte vor Wut heulen können. An eine romantische Liebeserklärung war unter solchen Umständen gar nicht zu denken, und sie wünschte nur, daß Matthew zu sehr beschäftigt sein würde, um Zeit zu haben, sie näher zu betrachten. Vor einer halben Stunde noch hätte sie seine Arbeit verflucht, weil sie ihm keine Zeit für die Liebe ließ. Jetzt konnte sie froh sein, daß er nur seine Arbeit im Kopf hatte.
Und dieser Wunsch sollte auch in Erfüllung gehen. Als sie sich nämlich wieder einigermaßen gefangen hatte, kicherte sie vor sich hin. »Das war keine gute Idee, mit gekreuzten Armen und den Händen in den Taschen zu laufen. Man fällt doch dabei glatt aufs Gesicht«, sagte sie belustigt.
»Gott sei Dank hatten Sie Ihre Hände in den Taschen. Jetzt sind sie wenigstens sauber, falls Sie mir helfen müssen«, erwiderte er boshaft.
Sie ärgerte sich fürchterlich und hätte ihn durchrütteln mögen. Dann begnügte sie sich aber doch damit, ihm einen finsteren Blick zuzuwerfen, und beschloß, ihm eines Tages gründlich die Meinung zu sagen, was sie von seiner Bemerkung hielt. Eines Tages, nicht heute.
Hatte der Sturz sie schon hinreichend mitgenommen und obendrein noch erniedrigt, so erwartete sie nun ein wirklicher Schock. Als sie sich dem Gehege näherten, kam Brian ihnen entgegen, den Tränen nahe. Von einem Kalb war nicht die geringste Spur. Allerdings konnte sie in der Dunkelheit die Umrisse eines riesigen Tieres erkennen und meinte, einen Elefanten vor sich zu haben. Vorsichtshalber trat sie einen Schritt zurück, aber zu ihrer großen Überraschung brach Matthew in schallendes Gelächter aus.
»Sag bloß nicht, daß das der Patient ist. Das ist doch der berühmte rotbraune Stier, den dir dein Vater vor drei Jahren geschenkt hat. Ich meinte, du sagtest am Telefon etwas von einem Kälbchen.«
»Aber Mr. Webster, ich habe doch gesagt, daß es Penny ist«, antwortete Brian, wobei er den Kosenamen nur mühsam über die Lippen brachte.
»Und wie sollte ich wissen, daß du diesem fabelhaften Burschen einen so niedlichen Kosenamen verpaßt hast? Sein richtiger Name ist fast eine Meile lang.«
»Aber wir rufen ihn doch nie mit seinem richtigen Namen. Er hat immer nur auf >Penny< gehört. Ist er schlimm verletzt? Oh, es ist alles meine Schuld. Als Vater schon zu diesem gräßlichen Treffen gefahren war, brachte ein Lastwagen eine Ladung Draht, zum Teil Stacheldraht. Der Fahrer hat alles auf der Weide abgeladen, obwohl ich ihn gebeten hatte, es nicht zu tun. Aber er meinte, es würde bald dunkel und man könne heute damit nichts weiter anfangen. Penny muß geradewegs in den Stacheldraht gelaufen sein. Ich habe die Verletzung gesehen, als ich ihm seinen abendlichen Brotlaib brachte. Er bekommt doch immer einen vor dem Schlafengehen, wie Sie wissen.«
Jill überlegte, ob sie wohl übergeschnappt sei. Hatte sie richtig verstanden, daß dieser Riesenbulle mit Brotlaiben gefüttert wurde und auf den Kosenamen Penny hörte? Stiere waren schließlich keine Schoßtiere, sondern äußerst gefährliche Gesellen, vor denen man sich über den nächstbesten Zaun rettete, wann immer man so einem Burschen begegnete. »Ein — ein Stier...«, stöhnte sie. »Aber da brauchen Sie doch ein paar kräftige Männer zum Festhalten...«
Keine Antwort. Matthew beachtete sie gar nicht, sondern ging mit der Taschenlampe in der Hand um den Stier herum und suchte ihn ab. Dabei entdeckte er an der Schulter des Tieres einen etwa zehn Zentimeter langen Riß.
»Das ist nicht schlimm«, erklärte er dem Jungen. »Nur ein paar Stiche, das ist alles. Ich werde ihn lokal betäuben. Das macht ihm doch nichts aus, nicht wahr?«
Das war zuviel für Jill. »Und ob ihm das etwas ausmacht! Er wird vor Schmerzen durchdrehen und uns niedertrampeln. Ich verstehe überhaupt nicht, warum er noch so ruhig
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