Verlieb dich nie in einen Vargas
ich fast vergessen gehabt, wie es war, einen echten Freund zu haben. Jemanden, dem ich voll und ganz vertraute. Er war nur wegen des Motorrads in mein Leben getreten, und ich hatte Valentina nur ausgegraben, weil ich dachte, sie könnte den Dämon vielleicht in Schach halten.
Mir fiel etwas ein, was der Arzt gesagt hatte, als er uns die Diagnose mitteilte.
Alzheimer ist eine schreckliche Krankheit, aber man weiß nie, wen oder was sie womöglich in unser Leben bringt.
Begleitet von einem übelerregenden, dumpfen Schlag meines Herzens stellte ich mir die Frage, ob ich die beiden immer zusammendenken würde: Emilio Vargas und diese Krankheit, diesen abscheulichen Albtraum. Den Jungen, der meinem Herzen Leben einhauchte, und das bösartige, gesichtlose Ding, das mir den Vater nahm.
El Demonio.
Das war der Name, den ich auf meine Seite in dem schwarzen Buch schreiben würde, auf das alte vergilbte Papier, das geduldig auf die gebrochenen Herzen wartete, die ich in Bälde sammeln würde.
Wir standen auf der Veranda. Emilio sah mich mit geröteten Augen an. »Lass mich wenigstens bleiben, bis deine Mutter zu Hause ist.«
»Wir kommen klar«, sagte ich. »Du hast bereits … Du hast eine Menge für uns getan.«
Ich konnte ihm nicht ins Gesicht blicken, ohne vor mir zu sehen, wie der Rauch zur Küchentür hinausquoll, wie Emilio ins Haus stürmte, um meinen Vater zu retten. Die Dinge, die ich zu Papi gesagt hatte … die Dinge in meinem Kopf … sie waren tausendmal verwerflicher, als zuzulassen, dass meine Schwestern mich herumschubsten, oder darauf zu warten, dass alte Freunde anriefen.
Emilio hatte mich von meiner absolut schlimmsten Seite erlebt und keine noch so starke Fassung oder frische Luft der Welt würden das wieder in Ordnung bringen.
»Ich werde nicht gehen«, sagte er.
»Danke für …«, flüsterte ich. Es war nur ein halber Satz und ich sah ihm dabei nicht einmal in die Augen. Ich konnte es nicht. Ich schloss die Haustür trotz seines Protests und wandte mich mit einem hoffnungsvollen, aber zutiefst unaufrichtigen Lächeln zu Papi um.
»Hast du noch Hunger? Wir könnten uns Tacos holen oder … vielleicht ein Eis? Mom kommt frühestens in einer Stunde nach Hause.« Ich setzte mich neben Papi aufs Sofa und legte meine Hand zurück auf sein Knie, in der stillen Hoffnung, dass er Ja sagen würde. Dass er einen Witz über seine missglückten Kochkünste machen und ich mir die Schlüssel schnappen würde und wir nach Old Town hineinfahren würden, um zwei fette Eisbecher zu verputzen und den Nachtisch zur Hauptmahlzeit zu erklären.
Um zusammen darüber zu lachen, wie knapp es gewesen war. Puh!
Denn solange er darüber lachen konnte, solange er den Silberstreifen sah, wusste ich, dass wir klarkommen würden. Dass das hier vorübergehen würde. Dass wir die Erinnerung an diesen Tag wie ein Geheimnis betrachten konnten, das wir teilten, unser gemeinsames Versehen, unseren gemeinsamen Fehlschlag.
Bitte, Papi , dachte ich. Bitte lass uns ein Eis essen gehen .
»Wir kümmern uns später um die Sauerei.« Ich stand vom Sofa auf und wartete darauf, dass er es mir gleichtat. »Bereit?«
»Nein, queridita . Ich habe keinen Hunger.«
»Wie wäre es mit einer Partie Scrabble? Ich habe dich schon eine Weile nicht mehr gewinnen lassen.« Ich nahm die Schachtel von ihrem Brett unter dem Wohnzimmertisch, aber Papi rührte sich nicht vom Fleck.
Er war nicht bereit, vom Sofa aufzustehen oder den Blick vom Boden zu heben.
»Westernkanal?« Ich griff nach der Fernbedienung, aber er schüttelte den Kopf.
»Na schön. Dann lass uns wenigstens rausgehen. Wir könnten einen Blick auf Valentina werfen«, sagte ich fröhlich. »Emilio hat gesagt, sie sei fast fertig.«
Papi blinzelte, er zog die Nase kraus, als wäre ihm der Gestank im Haus gerade erst aufgefallen. »Wer ist fertig?«
»Valentina.«
»Deine Schwester lebt in New York, querida .«
»Nicht Araceli«, sagte ich, dieses Mal lauter. »Das Motorrad. Valentina.«
Er winkte ab und ließ sich zurück aufs Sofa sinken. »Valentina hat kein Motorrad. Sie ist zu jung dafür.«
Unsere Küche war ein Schlachtfeld, das zu dem in unserem Garten passte, schwarze Löcher und verbrannte Wände um den Herd herum, zerbrochene Teller auf der Anrichte. Ich schlich im Haus umher und öffnete die restlichen Fenster, stellte die Ventilatoren auf die höchste Stufe, spritzte mir am Waschbecken im Bad kaltes Wasser ins Gesicht. Am liebsten hätte ich mich in meinem Bett
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