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Verlieb dich nie in einen Vargas

Verlieb dich nie in einen Vargas

Titel: Verlieb dich nie in einen Vargas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Ockler
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verkrochen, nur um später aufzuwachen und zu erleben, dass alles bloß ein Traum gewesen war. Ein langer, abscheulicher Traum.
    Aber ich wusste, dem war nicht so, und ich konnte Papi nicht schon wieder allein lassen.
    »Möchtest du etwas trinken?«, fragte ich, als ich zu ihm zurückkehrte. »Limonade? Matetee?«
    Er schüttelte den Kopf, sein Blick jedoch war auf die Wand über dem Fernseher geheftet. Er studierte die Fotografien, die dort seit Jahr und Tag hingen und inzwischen mit Beschriftung versehen waren.
    Tochter Lourdes, Fahrprüfung.
    Tochter Mariposa, Highschoolabschluss.
    Tochter Araceli, Collegeabschluss.
    Tochter Jude, lächelt.
    Lächelt . Das tat ich tatsächlich. Es war Sommer, ich war vielleicht zehn. Ich hatte gerade einen Fisch gefangen, eine Regenbogenforelle, und hielt sie stolz in die Kamera.
    In unserem Haus war kein richtiges Geräusch zu vernehmen. Nur das leise Surren der Ventilatoren und das Flattern der Zeitschriften, die auf dem Tisch im Flur gestapelt waren und von der Brise gestreift wurden, und das ununterbrochene Ticken der Standuhr. Sogar Pancake hatte seine übliche Lautstärke gedämpft und sich still zu Papis Füßen zusammengerollt.
    Ich setzte mich wieder neben Papi und verschränkte meinen kleinen Finger mit seinem. Ich wünschte mir so sehr, dass er einen Witz über die ganze Sache machte oder ausrastete und mir befahl, sauberzumachen, ehe Mom nach Hause kam, oder sogar wieder anfangen würde, über den Schatz zu zetern.
    Aber er saß zusammengesackt auf dem Sofa und starrte blinzelnd die Wand an, während er gleichzeitig schwer durch den Mund ein- und ausatmete und darum kämpfte, sich die Bilder der Mädchen einzuprägen, die er eines Tages – bald – vergessen würde.

29
    Wenn man in Betracht zog, wie ungern Mom Fremde im Haus hatte, war es erstaunlich, dass das Gemäuer innerhalb von vier Tagen mehr Fremde zu Gesicht bekommen hatte als in meinem ganzen bisherigen Leben. Fremde Menschen. Fremde Stimmen. Fremde Schuhabdrücke. Fremde Münder auf unseren blauen Kaffeebechern, fremde Hände auf den kalten empanadas und medialunas, fremde Finger, die Küchlein in die dulce de leche tunkten, die Lourdes uns geschickt hatte. Susana hatte ebenfalls ein Festmahl für uns zubereitet und jetzt stand das viele Essen der Familien Hernandez und Vargas in mit Folie bedeckten Schüsseln nebeneinander auf dem Esszimmertisch.
    Man hätte meinen können, wir feierten eine Party, ein Fest, aber es war nichts dergleichen. Es fühlte sich kaum noch wie unser Zuhause an, und mit jedem Hammerschlag und jeder Umdrehung der Bohrmaschine zersplitterte mein Herz ein bisschen mehr.
    Emilio und Samuel kannten da jemanden, und die drei waren an diesem Morgen gekommen, um die Küche wieder herzurichten. Emilio und Sam bearbeiteten die Wände, während der andere Typ sich um die Elektrik kümmerte und den neuen Herd anschloss. Mom hatte Bargeld für alles dagelassen – die Arbeit, das Material. Sie wollte die Instandsetzung nicht aus nächster Nähe mit ansehen müssen.
    Nach allem, was ich anderntags zu Papi gesagt hatte, wollte ich das ebenso wenig. Emilio versuchte mit seiner warmen, sanften Stimme mit mir zu reden, als wären wir auf einer Beerdigung, als wäre ich aus Glas. Er bewies Geduld, er war unglaublich, aber jedes Mal, wenn ich ihm in die Augen sah, erkannte ich darin meine eigene Schande, und mein Mund füllte sich mit Staub, und ich brachte kein Wort heraus.
    Jetzt stellte ich eine frische Kanne Kaffee zusammen mit einigen Bechern aus Celis Kollektion auf den Tisch – diese drei waren mit Vögeln verziert. Eine zueinanderpassende Serie. Für mich häufte ich Susanas selbst gemachte Spezialitäten auf einen Teller: frittierte Kochbanane, irgendwas mit Hühnchen, Reis und Bohnen, pasteles . Ich hatte keinen Hunger, aber seit der Herd in Flammen aufgegangen war, hatte ich nichts Warmes mehr gegessen, und alles roch so gut, daher tat ich mir so viel auf wie ich konnte und huschte mit einem überladenen Teller und einem hungrigen Hund zur nach wie vor kaputten Küchentür hinaus.
    Bitte lass was fallen, oh bitte, bitte, bitte. Ich liebe pasteles ! Ich liebe alles! Das ist besser als Häschen! Augenblick, Häschen? HÄSCHEN ! Und schon war er auf und davon und ließ mich mit meinem puerto-ricanischen Festmahl und dem Anblick des Motorrads, an dem wir den ganzen Sommer gearbeitet hatten, allein im Schuppen zurück.
    Valentina strahlte, als sei sie gerade erst vom Band gerollt. Tags zuvor

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