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Verlieb dich nie in einen Vargas

Verlieb dich nie in einen Vargas

Titel: Verlieb dich nie in einen Vargas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Ockler
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ihn.
    Und den Bruchteil eines Augenblicks, den Bruchteil eines Herzschlags lang sah ich meinen Vater an und wünschte mir das grauenvolle Was wäre wenn .
    Was wäre, wenn ich einfach die Augen geschlossen hätte.
    Was wäre, wenn ich den Feueralarm einfach ignoriert hätte.
    Was wäre, wenn ich ihn einfach hätte gehen lassen.
    »Was ist nur los mit dir!«, schrie ich, blind vor Schuld und Gram, die über mich hereinbrachen. Es war mir egal, dass Jeff noch immer zusah, dass all diese Fremden in unserem Haus waren und über unsere Teppiche trampelten und durch die Schlüssellöcher in unser Leben spähten. »Du darfst den Herd nicht benutzen! Das darfst du nicht machen, okay?« Ich tippte ihm mit dem Zeigefinger an die Stirn. »Da drin ist etwas kaputt. Kapierst du das nicht?«
    Papi blickte von der verkohlten Küche zur schief hängenden Fliegengittertür zu meinen rußverschmierten Händen. Er schlug die Hand vor den Mund, als sei ihm gerade erst klar geworden, wie groß das Ausmaß des Schadens war, wie nah er daran gewesen war, das ganze Haus niederzubrennen. Sich umzubringen. Für immer zu verschwinden.
    »Es tut mir leid, querida … Ich habe nicht …« Er vergrub den Kopf in den Händen, und mein Herz verdörrte, alle Luft wich aus meiner Lunge.
    Ich hatte wegen des Gartens, des dummen Schatzes, Arch Stanton die Fassung verloren. Ich hatte ihn ins Haus geschafft, um ihn aus dem Weg zu haben.
    Und dann hatte ich mir gewünscht, er wäre tot.
    Es war nur ein Aufblitzen gewesen, ein nicht mal zu Ende gedachter Gedanke, aber er war da gewesen. Der Beweis dafür ruhte immer noch schwarz und verrußt tief in mir. Jetzt brannte meine Kehle vor Scham, mein ganzer Körper zitterte vor Trauer und Furcht.
    Ich griff nach Papis Hand. Obwohl ich den entsetzlichen Gedanken nicht ausgesprochen hatte, musste ich ihn wissen lassen, dass ich es nicht so gemeint hatte. Dass ich ihn liebte. Ich musste wissen, dass er mich ebenfalls liebte.
    Dass er sich immer an mich erinnern würde.
    »Papi?«, flüsterte ich.
    Die Feuerwehrmänner trampelten und lärmten und schrien weiter um uns herum, oben wie unten. Meine Hand umfasste sein Knie, und Papi schloss erschöpft die Augen, das Gesicht von Scham gezeichnet.

28
    Ich saß am Ufer des Animas und bemühte mich verzweifelt zu tun, was Emilio mir aufgetragen hatte: meine Fassung wiederzufinden.
    Was für ein blöder Ausdruck: Seine Fassung wiederfinden. Als wäre ich ein Stein, der sich aus der Fassung eines Ringes gelöst hatte und nun auf der Suche nach ihr war.
    Es fühlte sich falsch an, meine Füße im Wasser baumeln zu lassen, während Emilio zu Hause bei Papi war. Es fühlte sich falsch an, die süße Sommerluft einzuatmen und gleichzeitig zu wissen, dass sie dem beißenden Dunst ausgesetzt waren, der nach wie vor durch unser Haus zog.
    Aber Emilio hatte mir befohlen, es zu versuchen, und ich hätte es nicht ertragen, an diesem Tag noch einmal zu versagen. Also saß ich hier. Und hielt Ausschau nach meiner Fassung.
    Der Fluss gurgelte um meine Zehen; ich verlor mich in der Kühle, überlegte, ob ich mich hineingleiten lassen, den Fluss hinuntertreiben und am Lebensufer einer anderen Person wieder an Land gehen könnte.
    Alle meine Fantasien endeten damit, dass Emilio mir vom Ufer aus die Hand entgegenstreckte.
    Ich konnte nicht aufhören, an Papi zu denken, ahnungslos und verwirrt wie er war, der mich angesehen hatte, als hätte ich die Antworten, als wüsste ich, was das Feuer ausgelöst hatte, als hätte ich selbst das Streichholz entzündet, nur um es brennen zu sehen. Und an Emilio, der die Treppe hinaufgestürmt war, um ihn zu finden. Der die Feuerwehr gerufen hatte. Der selbst jetzt inmitten von Ground Zero verharrte und dafür sorgte, dass es Papi gut ging, während die Feuerwehrmänner ihre Arbeit machten und wir darauf warteten, dass Mom nach Hause kam.
    Das war das Entscheidende an Emilio. Ihn gab es nicht in einer Vor-Alzheimer- und einer Nach-Alzheimer-Version. Er hatte Papi von Anfang an in seiner schlimmsten Verfassung erlebt und dennoch hatte in seinem Blick nie Verurteilung gelegen. Seine Sätze waren nicht vorsichtig und mitleidig geworden, peinlich berührt oder hölzern aufgrund dessen, was ungesagt blieb. Er nahm die Dinge, wie sie kamen. Tag für Tag. Egal, welche Überraschungen Papi im Ärmel seines Flanellhemds verbarg. Egal, wie Mari ihn behandelte. Egal, wie oft ich Mist baute, mich entschuldigte, wieder Mist baute.
    Bis Emilio aufgetaucht war, hatte

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