Verlieb dich nie in einen Vargas
wollten mich nur beschützen.«
Emilio schüttelte den Kopf. »Du hast dich mit einem Messer geschnitten und dein Haar mit einer Kirchenkerze verbrannt. Wo ich herkomme, hat man ein Wort dafür: loca . Du hattest recht. Du bist tatsächlich verrückt.«
»Aber deine Brüder …«
»Du denkst, ich bin wie sie.« Es war keine Frage. Seine Stimme hatte ihren neckenden Unterton verloren, er war plötzlich gereizt und kühl. Als ich in seine Augen blickte, sah ich dort noch etwas anderes. Schmerz.
»Nicht mehr«, sagte ich. »Nicht, nachdem ich dich diesen Sommer kennengelernt habe. Und gestern bei dir war, dich mit deiner Mom gesehen habe … Ich … du bist nicht so, wie ich erwartet hatte.«
Er setzte sich wieder in Bewegung, das Schweigen zwischen uns ließ die Luft gefrieren.
»Es tut mir leid. Ich wusste von dir nur noch, was ich in der Schule mitbekommen hatte«, sagte ich. »All die Mädchen, die hinter dir herliefen und an deinen Lippen hingen. ›Oh, Emilio ! Du bist so süß! Wir lieben dich, Emilio!‹« Ich hatte ihn eigentlich damit aufziehen wollen, aber die Worte trieben auf einer Woge der Eifersucht dahin, und ich verfluchte sie insgeheim dafür. Meine Wangen brannten.
Emilio jedoch lachte, und der Schmerz, den ich in seinen Augen gesehen hatte, verging. »Ich kann nichts dafür, dass sich alle in mich verlieben. Ich bin eben charmant, was soll ich sagen?«
»Du bist nervig, das kann man sagen!« Ich versuchte, ihm einen Klaps auf den Arm zu geben, aber er schnappte sich meine Hand und hielt sie fest. Hitze kroch langsam meinen Arm hinauf.
»Ich bin nicht so, weißt du.« Er trat einen Schritt näher.
»Nicht … nervig?« Es war nur ein Flüstern, aber es zitterte wie die Blätter der Espe über unseren Köpfen.
Laub, muss es heißen. Wie Espenlaub.
»Nicht so wie meine Brüder.« Er kam noch einen halben Schritt näher. Seine Grübchen vertieften sich, während der Raum zwischen uns verdunstete.
Ich senkte den Blick wieder auf den Weg, konzentrierte mich auf einen glänzenden schwarzen Käfer, der ihn kreuzte. Er hielt an, als er Emilios Schuh erreichte. »Es … Ich bin hergekommen, um mich für die komische Stimmung zu entschuldigen, die geherrscht hat. Ich wollte nicht, dass du glaubst, es sei deine Schuld. Oder dass du aufhörst, vorbeizukommen …«
»Warum sollte ich aufhören, vorbeizukommen?«
Eine kleine blaue Flamme flackerte in meinem Bauch auf, aber ich erstickte sie sofort. »Die vielen Verrücktheiten meiner Familie. Ich hatte befürchtet, du würdest das Weite suchen.«
»Keine Chance, princesa .« Er lächelte, sein Blick verweilte auf meinen Lippen. »Ihr bezahlt mich schließlich.«
Ich versuchte ein Lachen, aber es verfing sich in einem nervösen Hickser, und daher befreite ich mich aus seinem Griff und machte Anstalten, zur Werkstatt zurückzukehren. Sofort spürte ich wieder seine Hand, warme Haut an warmer Haut. Er trat mir in den Weg, schnappte sich auch noch meine andere Hand und seine Finger verschränkten sich mit meinen.
»Vertraust du mir?«, fragte er. »Ich muss wissen, ob du mir vertraust.«
Es war ihm todernst damit und die Frage hing zwischen uns, verband uns wie ein unsichtbarer Faden. Diesen einen Moment lang waren wir beide verwundbar, beide so ehrlich, dass es schmerzte. Sogar die Welt schien den Atem anzuhalten und darauf zu warten, wer von uns zuerst sprechen würde.
»Mein Vater hat Alzheimer.«
Da war es, ein geflüstertes Geständnis, das ins All hinaustrieb, wo es bis in alle Ewigkeit weiterexistieren würde. Im Gegensatz zu uns.
»Anfangs, als sie uns die Diagnose mitteilten«, sagte ich, »hielt ich es für keine große Sache. Ich dachte mir, er würde eben Dinge vergessen. Dumme Dinge, wie in den Momenten, wenn man neben sich steht und die Milch ins Regal stellt oder Socken anzieht, die nicht zusammenpassen.«
Emilio war sprachlos, er hielt noch immer meine Hände, sah mir noch immer in die Augen.
»Mom und ich haben ihn immer damit aufgezogen. Ich meine, bevor wir es wussten. Er ging zum Beispiel in die Küche, um Popcorn für einen Filmabend in die Mikrowelle zu tun, und wir fanden ihn dann, wie er Omelettes oder Kuchen oder irgendetwas Verrücktes anrührte.« Meine Stimme brach, aber ich fuhr fort. »Wir nannten ihn Se ñ or Olvidadizo, Mr Spatzenhirn. Mom neckte ihn, dass er sein Intelligenzpolster auf der Arbeit aufbrauche, sodass für uns nichts mehr übrig wäre, wenn er nach Hause käme. Wir hatten keine Ahnung … Er ist
Weitere Kostenlose Bücher