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Verlieb dich nie in einen Vargas

Verlieb dich nie in einen Vargas

Titel: Verlieb dich nie in einen Vargas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Ockler
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tief unter den Schatten vergraben, ein wenig Hoffnung, dass am Ende doch noch alles gut werden würde.
    Ich packte sein T-Shirt mit beiden Händen und schob es hoch, zog es ihm über den Kopf. Meine Fingerspitzen folgten der Kontur seiner Arme, seiner Brust, den dünnen weißen Narben, dem geheimnisvollen Wulst, der sich über seinen Bauch schlängelte. Ich hielt dort inne, suchte in seinen Augen nach einer Erklärung, um die mit Worten zu bitten ich zu große Angst hatte.
    Ich hatte angenommen, er würde den Blick abwenden, aber er sah mich unverwandt an, und es lag eine so bru-tale Aufrichtigkeit in seinem Blick, wie ich sie noch nie zuvor bei einem Menschen erlebt hatte. Sie war gepaart mit Nervosität, einer gewissen Unsicherheit und Verletzlichkeit.
    Und in diesem Moment fühlte ich mich lebendig. Ganz. Beschützt vor dem Wüten der Zeit und vollkommen immun gegen ihre Vergänglichkeit.
    Nichts von alldem hier könnte je in Tränen enden.
    Er lächelte, schüchtern dieses Mal, und ich erwiderte sein Lächeln, und dann küssten wir uns erneut, pressten unsere Münder und Bäuche aufeinander, während der Rest der Welt um uns erodierte – ein sinnloser Windhauch, ein unbedeutendes Staubkorn nach dem anderen.
    Wir blieben ineinander verschlungen auf dem Felsen liegen, ließen nur für ein spätes und hastiges Mittagessen voneinander ab und fielen uns wieder in die Arme, bis die Sonne hinter dem Canyon unterging und die Bergspitzen im schwindenden Licht rotorange aufflammten. Emilio half mir auf das Motorrad, als es Zeit war zu gehen, und zog mich an sich, um mir einen langen, tiefen Kuss zu geben, ehe er uns die kurvenreiche Straße nach Hause lenkte.
    Während wir den Million-Dollar-Highway hinunterrollten, schloss ich die Augen und presste meine Brust an seinen Rücken und hielt seine Taille fest umschlungen. Und er drückte meine Hand, als sei das hier für die Ewigkeit, als hätten wir endlich einen Weg gefunden, die Zeit anzuhalten, und ich sehnte mich so sehr danach, ihm zu glauben.

22
    Emilio und ich hielten auf dem Rückweg in der Stadt, um uns Mangoshakes zu holen, aber wir redeten kaum – wahrscheinlich waren wir zu durcheinander, das mit uns fühlte sich noch so neu an –, und der gefühlvolle Abschied in unserer Einfahrt wurde vom Zigarettenqualm abgekürzt, den Mari zur Fliegengittertür der Küche hinaus paffte.
    »Du warst eine ganze Weile weg«, sagte sie, als ich hereinkam. Sie warf mir einen mahnenden Blick zu, aber auf ihrem Gesicht breitete sich auch ein Lächeln aus und ließ es aufleuchten, das war nicht zu leugnen. »Papi hat erzählt, ihr zwei seid den Million-Dollar-Highway hoch? Ich bin ihn auch schon gefahren, aber nicht auf dem Motorrad. Tatsächlich habe ich noch nie auf einem Motorrad gesessen.«
    »Echt? Dagegen solltest du was tun«, sagte ich, und da wurde ihr Lächeln breiter; umwerfend und strahlend. Keine Warnung. Keine Vorhaltungen, weil ich mich mit dem Feind verbrüdert hatte und mit geschwollenen Lippen und vom Wind zerzausten Haaren nach Hause gekommen war und mir die Schuld ins Gesicht geschrieben stand.
    »Ich freu mich, dass du Spaß hattest.« Sie musterte mich ein paar Sekunden lang, und ich dachte schon, sie würde Einzelheiten wissen wollen, aber sie strich mir nur über die Haare, bis ihre Hände an meinen Wangen ruhten. »Du siehst glücklich aus, Juju.«
    Ihre Stimme brach zum Satzende hin, und sie wandte sich ab, um sich die Hände am Spülbecken zu waschen, rechts für kalt/ frío , links für heiß/ caliente, und ich huschte unbemerkt davon.
    Mein Herz stand immer noch unter Strom, als ich später die Fotos herunterlud. Aber als ich sie dann auf dem Bildschirm sah, wurden sie dem, was Emilio und ich soeben zusammen erlebt hatten, nicht annähernd gerecht.
    So war das mit Bildern. Egal wie wunderschön sie waren, es gelang ihnen nicht, den Teil des Augenblicks einzufangen, der sich aus tief empfundenen Gefühlen speiste. Das Leben war durch eine Linse betrachtet ein anderes, die Farben leuchteten weniger, die Schönheit besaß weniger Glanz.
    Bis man auf den Auslöser drückte, gehörte der Augenblick längst der Vergangenheit an.
    Ich nippte Matetee aus einem von Celis handbemalten Bechern, einem großen weißen mit Sonnenblumen, schloss die Augen und sog den bierbitteren Duft des Tees tief ein.
    Ich brauchte ganz gewiss keine Fotos, um mich daran zu erinnern, wie ich heute über den Canyon geblickt hatte, wie klein ich mich gefühlt hatte, während wir

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