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Verlieb dich nie in einen Vargas

Verlieb dich nie in einen Vargas

Titel: Verlieb dich nie in einen Vargas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Ockler
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Gewehrkugel, die die Luft durchschnitt.
    Wir erklommen den Million-Dollar-Highway, die Luft wurde dünner, Sonne umströmte uns von allen Seiten, und ich warf den Kopf zurück und blickte in den Himmel, der wolkenlos und blau und perfekt war. Ich verlor jegliche Orientierung, jegliche Vorstellung von Raum und Zeit. Ich konnte nicht erkennen, was vor uns lag, aber eins stand fest.
    Hinter uns existierte nichts als Erinnerungen und Staub.
    Ich werde dir davonlaufen, schwarzer Dämon. So schnell und so entschlossen, dass ich weg sein werde, bevor du überhaupt bemerkst, dass ich hier war.
    Eine Stunde später erreichten wir unser Ziel und ließen Motorrad und Helme auf dem Parkplatz am Ausgangspunkt des Wanderwegs zurück. Ich hatte ein paar empanadas und Getränke und Weintrauben in Stoffbeutel gepackt und Emilio nahm sie aus den Satteltaschen und schwang sie sich über die Schulter. Meine Beine summten und tickten noch immer wie der Motor, sie waren etwas wackelig auf dem festen Boden.
    »Daran gewöhnst du dich noch.« Emilio sah mich mit leuchtenden Augen an, er strahlte über das ganze Gesicht, wie er da in der Sonne stand. »Das war gerade deine erste Fahrt den Million-Dollar-Highway hinauf. Wie fühlst du dich?«
    »Unglaublich.« Es war ein so nichtssagendes Wort, es war das falsche Wort, aber das richtige Wort, um dieses Gefühl einzufangen, existierte nicht. Also sagte ich nichts weiter, sondern nahm nur seine Hand und hoffte, das wäre genug.
    Er führte mich einen steinigen Pfad entlang, der vom Hauptwanderweg wegführte – ein weiterer geheimer Schleichweg durch den Wald. Wir kraxelten einen kurzen, steilen Anstieg hinauf, und gerade als ich dachte, meine Beine würden mich im Stich lassen, erreichten wir die letzte Felsformation.
    »Das hier war früher Dannys Fleck«, sagte er vom Plateau des Felsens aus. Er streckte die Hände aus, um mir hinaufzuhelfen, und dann liefen wir in eine dichte Gruppe von Espen hinein. »Er hat ihn mir mehr oder weniger hinterlassen.«
    »Fehlt er dir?«, fragte ich, während wir uns einen Weg durch das Wäldchen bahnten. »Ihr habt euch nahegestanden, oder?«
    Ein Windstoß fuhr durch die Bäume und wir blieben beide stehen und wandten das Gesicht dem Himmel zu. Der Baldachin aus gelbgrünen Blättern erzitterte und streute das Licht. Es fühlte sich an, als würden sie uns mit Sonnenschein besprenkeln.
    Emilio lehnte sich mit der Schulter an einen Baum. Er betrachtete noch immer die Blätter. »Danny und ich waren wie Brüder.«
    »Besucht er dich manchmal? Oder bleibt er die ganze Zeit auf der Insel wie dein Dad?«
    »Hab ihn seit zwei Jahren nicht gesehen. Er fehlt mir. Ja, verflucht, er fehlt mir.« Emilio schälte ein loses Stück Rinde vom Baum und ließ es zu Boden fallen, und als eine weitere Brise ihre Finger durch die Blätter streifen ließ, wurde mein Herz unerklärlich schwer. Ich kannte die Einzelheiten von Emilios Familienproblemen nicht, aber es war klar, dass ich das Falsche gesagt hatte, dass ich zu viele Fragen gestellt hatte.
    »Es tut mir leid«, sagte ich. »Ich weiß, wie das mit der Familie ist … Ich hab nur gedacht … weil du manchmal von ihm erzählst und du gesagt hast, das hier sei sein Fleck, und …«
    »Es hat nichts mit dir zu tun. Es ist … kompliziert. Seine Mutter hasst Ma und mich praktisch und …« Emilio lächelte und streckte die Hand aus. »Mist. Ich müsste eigentlich derjenige sein, der sich entschuldigt. Deine erste Motorradtour und ich zieh dich so runter.«
    »Das stimmt doch gar …«
    »Wir sind noch nicht mal da.« Emilio legte den Arm um meine Taille und führte mich durch den Hain und am anderen Ende wieder hinaus, wo sich uns eine Welt eröffnete, die mir wie ein riesiges geheimnisvolles Märchenbuch erschien.
    Gemeinsam nahmen wir alles in uns auf, die ausgedehnten Schluchten zu unseren Füßen, die in Grün, Grau und Lila gekleideten hügeligen Ausläufer des Gebirges. Es schien, als sei alles, was auf dieser Welt je gelebt hatte und gestorben war, hier vorbeigekommen und hätte der Landschaft seinen unauslöschlichen Stempel aufgedrückt.
    Ich ging bis zum Rand und spähte in den staubig roten Canyon hinunter. Die Wände waren zugleich glatt und rau, gewaltige Säulen aus verwittertem Gestein, die sich aus der Erde erhoben. Der Fluss, der hier einst sein Bett gehabt hatte, war vor über drei Millionen Jahren versiegt, aber noch immer waren die Felsen nicht vor den Folgen des unaufhaltsamen Voranschreitens der Zeit

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