Verlieb dich nie nach Mitternacht
Der Schaum auf ihrem Körper löste sich mit einem leisen Knistern auf, als lachte er hämisch über sie. Achtlos warf Maribel das Handy in eine Ecke und schlüpfte zurück unter die Dusche, um sich die Seifenreste vom Körper zu spülen.
Morgen die Wohnung räumen – so ein Quatsch! Von Kündigungsfristen hatte der Mann wohl noch nichts gehört? Zum Glück lebten sie in einem Rechtsstaat, mit klaren gesetzlichen Regelungen. Notfalls würde sie sich einen Anwalt nehmen. Wenn ihr eigenes Geld nicht langte, beantragte sie Armenrecht bei Gericht. Maribel fühlte, wie die Lethargie sie allmählich verließ. Frisches Adrenalin brauste durch ihre Adern.
Maribel schlüpfte in ihren Trainingsanzug und zwang sich, über ihre missliche Situation ernsthaft nachzudenken. Das Girokonto war geplündert. Das einzige Sparbuch, das sie besaß, war ebenfalls abgeräumt. Wertpapiere oder dergleichen hatte sie nie besessen, dafür verdiente sie nicht genug und war auch nicht lange genug im Geschäft. Außerdem geizte sie nicht mit Geld, solange sie es besaß.
Maribel war pleite. Wer konnte ihr aus der Patsche helfen?
Ihre Eltern waren beide seit Langem tot. Geschwister hatte sie nicht. Und Freunde? Sie kannte viele Menschen, aber niemanden, den sie um Geld bitten würde.
»Wenn das Schicksal dich herausfordert, dann lach ihm ins Gesicht.« Auch ein Wahlspruch ihrer Mutter.
Hach! Wie sollte sie lachen, wenn das Schicksal mal wieder wie mit Prügeln auf sie einschlug? Andere würden sich in ihrer Situation mit Alkohol benebeln. Literweise Prosecco in sich hineinschütten. Um dann in der Nacht entweder über der Toilettenschüssel zu hängen oder am folgenden Morgen mit einem Brummschädel aufzuwachen.
Allein der Gedanke daran entsetzte Maribel. Sie hasste Alkohol. Ein gutes Essen hingegen konnte selbst die schwersten Stunden erhellen. Warum sollte sie sich nicht selbst etwas Gutes tun? Ein vielleicht allerletztes Mal? Bevor sie sich wie Millionen anderer in die Schlange der Arbeitssuchenden einreihte?
Ein fast aberwitziger Gedanke nahm in ihr Gestalt an. Jawohl, sie würde dem Schicksal ins Gesicht lachen. Ein allerletztes Mal würde sie richtig gut essen gehen. Mit allem, was dazugehörte. Wenn sie schon untergehen musste, dann mit Anstand.
Maribel schlüpfte in das schwarze Kleid, das sie sonst nur zu abendlichen Pflichtveranstaltungen des Instituts trug, und wählte dazu die Pumps mit den Zehnzentimeterabsätzen. Nachdem sie sich ihren Mantel aus grauer Kaschmirwolle über die Schultern geworfen hatte, stöckelte sie los.
Zielstrebig suchte sie das beste Restaurant der Stadt auf. Doch als sie den Geschäftsführer nach einem freien Tisch für eine Person fragte, bedauerte dieser. Sämtliche Tische wären vorbestellt. Ungläubig ließ Maribel ihren Blick durch das Lokal schweifen.
»Die Hälfte der Plätze ist noch frei.«
»Ich bedauere.« Der Geschäftsführer deutete eine knappe Verbeugung an, die an Beleidigung grenzte.
»Hören Sie, ich habe keine Lust auf Ihr kleines Machtspielchen. Ich möchte nichts weiter, als mein Essen in Ihrem Hause genießen. Würden Sie bitte so freundlich sein und mir einen Tisch zuweisen.« Maribel setzte ihre Worte bewusst mit schneidender Schärfe. Seit dem Morgen fühlte sie sich wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wurde. Dieses eine Mal würde sie Widerstand leisten.
»Ich möchte Sie bitten, das Lokal zu verlassen, gnädige Frau.«
»Ich bleibe.«
Die Miene des Geschäftsführers blieb völlig ausdruckslos, als er zwei Männer zu sich heranwinkte, die in der Nähe der Eingangstür postiert waren.
»Sie drohen mir mit Ihren Rausschmeißern?«
Der Geschäftsführer lächelte dünn.
»Sie missverstehen die Situation, gnädige Frau.«
Ein bulliger Kerl im dunklen Anzug hatte sie fast erreicht. Maribel sah ein, dass sie gegen ihn nicht gewinnen konnte.
»Man sieht sich im Leben immer zweimal.«
Jetzt lächelte der Mann nicht einmal mehr. Er schien nur noch genervt zu sein.
»Die Dame befindet sich in meiner Begleitung.«
Maribels Kopf schnellte herum. Hinter ihr stand Richard Pindall, der mysteriöse Kunde aus dem Ehevermittlungsinstitut. In seinen Augen funkelte es belustigt, als er ihr höflich den Arm bot, damit sie sich bei ihm einhaken konnte.
Maribel schüttelte den Kopf. »Danke, das ist zwar sehr nett von Ihnen, aber eigentlich ist mir der Appetit gerade vergangen.«
»Wie schade, ich esse so ungern allein.«
»Deshalb suchen Sie ja auch eine
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