Verlieb dich nie nach Mitternacht
Frau.«
»Schlimmer. Ich suche die richtige Frau.«
Maribel musterte ihn neugierig. »Dann sollten Sie erst recht allein essen. Meine Anwesenheit wird Ihre Chancen mindern.«
Bedeutungsvoll sah er hinüber zu den Tischen. Jeder der anwesenden Damen, alle im Alter ab fünfzig aufwärts, befand sich in Herrenbegleitung. Die Frauen unterhielten sich angeregt oder aßen mit Genuss. Von ihnen nahm niemand Notiz.
Maribels Magen knurrte. »Also gut. Sie haben mich überredet.« Ein wenig befangen hakte sie sich bei Pindall ein. »Aber ich zahle. Sie sind mein Gast.«
»Einverstanden«, antwortete Pindall.
Hoheitsvoll schwebte Maribel an seinem Arm zu dem freien Tisch, den derselbe Geschäftsführer, der ihr vorher den Zutritt verweigert hatte, ihnen nun mit ausgesuchter Höflichkeit zuwies. Erst als er ihr den Stuhl zurechtrückte, wurde ihr bewusst, was sie vollmundig versprochen hatte.
Ausgerechnet sie arme Kirchenmaus lud Pindall zum Essen ein?
V
Es war ihr Abschiedabend vom sorglosen Leben.
Maribel betrachtete mit leiser Wehmut das makellose Weiß der Tischdecke. Gebannt beobachtete sie, wie sich das Kerzenlicht im Kristall der Gläser brach. Sie streckte sogar die Hand nach dem schweren Silberbesteckt aus, um das Gewicht zu schätzen, zog sie aber, überwältigt von dem Luxus, der sie umgab, zurück.
»Danke, dass Sie mir geholfen haben«, sagte sie schlicht zu Pindall.
»Es war mir eine Freude.« Pindall vertiefte sich in die Weinkarte. Maribel überlegte, ob sie den Kellner ebenfalls um eine Karte bitten sollte, doch dieser bediente bereits einen anderen Gast.
»Ich schlage einen grauen Burgunder, 2001, Ihringer Winklerberg, Spätlese vor. Elegant mit Finesse. Ein perfekter Essensbegleiter. Sind Sie einverstanden?«
Maribel fühlte, wie ihr das Blut in den Kopf schoss. Wenn sie mit Boris ausging, bestellte sie den Hauswein. In der Regel war er für ihr Portemonnaie erschwinglich.
Der Wein, den Pindall vorschlug, klang vor allem teuer.
»Eine ausgezeichnete Wahl.« Das Lächeln gefror ihr auf den Lippen, als sie an die leichtfertig ausgesprochene Einladung dachte.
»Sie kommen öfter hierher?«, fragte sie, nachdem Pindall den Wein bestellt hatte.
»Jeden Abend. Ich liebe es, Menschen zu beobachten. Und hier fällt mir das leichter als zu Hause in meiner leeren Wohnung.«
Maribel registrierte die feinen Adern auf seinem Handrücken, die leicht hervortraten. Pindall hatte schmale Hände mit langen Fingern. Gepflegte Hände. Keine Hände, die von schwerer körperlicher Arbeit erzählten.
»Warum bittet ein Mann wie ich ein Ehevermittlungsinstitut, für ihn eine Frau zu finden?«, stellte er die Frage, die Maribel beschäftigte.
Maribel lachte laut auf. »Eine interessante Frage! Ich glaube, ich kenne sogar die Antwort.«
»Da bin ich aber neugierig.«
»Sie stammen aus England, leben erst seit Kurzem in Deutschland. Ihre Freundin hat sich von Ihnen getrennt …«
»Wirke ich auf Sie wie ein Mann, der verlassen wird?«
Maribel registrierte den scharfen Unterton in seiner Stimme. Hatte sie ihn verärgert? Nachdenklich drehte sie den Stiel ihres leeren Weinglases zwischen den Fingern.
»Verlassen werden ist doch keine Schande.« Sie hob den Blick und sah ihm direkt in die Augen. Pindall wich ihr nicht aus.
»Das Institut scheint für uns beide der richtige Ort zu sein.«
Maribel schluckte trocken. »Ich arbeite nicht mehr für das Institut.«
»Eine spontane Entscheidung?«
»So ungefähr. Können wir bitte das Thema wechseln?«
»Aber selbstverständlich.«
Maribel konzentrierte sich auf die Speisekarte, ein Exemplar ohne Preisangaben. Weil sie sich von Pindall beobachtet fühlte, wählte sie das erstbeste Gericht auf der Karte – frisches Zanderfilet in Schnittlauchsoße. Verlegen vermied sie es, Pindall dabei anzusehen. Sicherlich ahnte er längst, dass ihr gekündigt worden war. Plötzlich schämte sie sich vor ihm.
»Der Tag verlief nicht besonders gut für mich«, begann sie etwas zu erklären, für das sie selbst kaum eine Erklärung fand.
Unvermittelt berührte Pindall ihre Hand. Kalt und trocken fühlten sich seine Finger an, als fließe kein Blut durch die Adern. Pindall bemerkte ihre Irritation sofort. Als wäre nichts geschehen, zog er die Hand zurück.
»Sie brauchen mir nichts zu erklären. Ich bin sicher, dass Sie Ihre Gründe haben.«
»Wie bitte?« Irritiert blinzelte Maribel ihn an. Seine Berührung hatte in ihrem Kopf eine Tür geöffnet. Einen Spalt bloß. Dahinter
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