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Verlieb dich nie nach Mitternacht

Verlieb dich nie nach Mitternacht

Titel: Verlieb dich nie nach Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Kent
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heranzukommen?
    Mit zitternden Fingern zog Maribel die Lippen mit glutroter Farbe nach, um der Gestalt im Spiegel ein freundlicheres Aussehen zu verleihen.
    Doch es blieb eine Maske, mehr nicht.
    Sie trat ans Fenster und rüttelte versuchsweise am Fensterknauf. Selbstverständlich könnte sie einfach zurück an ihren Tisch gehen und das Gespräch mit Pindall dort fortsetzen, wo sie es unterbrochen hatten. Aber solange sie nicht wusste, was Pindall wirklich beabsichtigte, ob er zu den Guten oder zu den Bösen zählte, erschien ihr das zu gefährlich. In ihrem augenblicklichen Zustand fühlte sie sich dazu nicht in der Lage. Ihre Nerven flatterten. Nie würden sie die zusätzliche Belastungsprobe überstehen.
    Das Fenster hakte im Rahmen, als sie daran zerrte. Erst nach kräftigem Rütteln sprang es mit einem Klack auf. Eisiger Wind wirbelte eine Hand voll abgestorbener Blätter in den Waschraum. Schneematsch lag auf der Fensterbank. Maribel setzte sich auf das schmale Sims und spähte hinunter auf den Hof. Ein knapper Meter trennte sie von der Freiheit. Entschlossen schwang sie erst das rechte Bein hinaus, das linke zog sie hinterher. Mit beiden Händen stieß sie sich ab.
    »Aua!«
    Der Schmerz schoss ihr bis in die Haarspitzen, als sie beim Landen in ihren hohen Pumps mit dem linken Fuß auf dem rutschigen Pflaster umknickte. Erschrocken duckte sie sich, als drinnen die Tür zum Waschraum aufgestoßen wurde.
    »Uh, ist das kalt! Welcher Trottel lässt bei diesem Wetter das Fenster auf?«
    »Das Publikum hier wird immer gewöhnlicher, findest du nicht?«
    »Wundert dich das? Wo das Geld doch auf der Straße liegt?«
    Keinen halben Meter über Maribels Kopf wurde das Fenster mit Wucht zurück in den Rahmen gerammt.
    Gänse, urteilte Maribel, als das Geschnatter der beiden sogar noch durch die Fensterscheibe drang. Zitternd vor Kälte rieb sie sich die Oberarme. So schnell es ihr schmerzender Fuß erlaubte, humpelte sie zur nächsten Straßenecke.
    Bloß weg hier. Der Schneesturm gewann mit jeder Minute an Kraft. Nur Verrückte wie sie waren bei diesem Wetter noch auf der Straße. Ein Taxi bespritzte sie im Vorbeifahren mit Matsch. Sie schüttelte ihm drohend die Faust hinterher.
    Noch letzte Nacht hatte Boris sie gewarnt. Wieso hatte sie ihm erlaubt, ihr wunderbar sicheres Leben zu zerstören?
    Warum meldete er sich nicht bei ihr?
    Maribel klapperte mit den Zähnen, als sie die Treppen zur U-Bahn hinunterhumpelte. Der beste Mantel, den sie je besessen hatte, baumelte immer noch auf seinem Bügel an der Garderobe des besten Restaurants der Stadt. In ein paar Tagen nahm ihn vielleicht eine der Kellnerinnen mit.
    Maribel stöhnte laut auf.

VI
    Es war nach Mitternacht, als Maribel endlich zu Hause eintraf. Vor der Tür wartete das kleine braune Köfferchen auf sie, das sie normalerweise über ihrer Dielengarderobe aufbewahrte. Es enthielt ein paar willkürlich zusammengewürfelte Kleidungsstücke sowie Zahnbürste und Zahnpasta. An der Tür prangte ein mit Computer geschriebener Zettel: »Bitte beim Vermieter melden.«
    Maribel schlug das Herz bis zum Hals. Übelkeit stieg in ihr hoch. Sie probierte den Schlüssel, doch wie befürchtet, passte er nicht.
    Ihr Vermieter hatte sie ausgesperrt.
    Nebenan wurde die Tür geöffnet. Margarete Schmitz war nach Maribels Schätzung weit über siebzig, übergewichtig und dazu noch stocktaub. Ihr Fernsehgerät dröhnte meist bis tief in die Nacht hinein durchs Haus. Mehr als einmal schon hatte Maribel nachts entnervt mit der Faust gegen die Wand zur Nachbarwohnung gehämmert, wenn sie vom Lärm wieder einmal geweckt worden war und nicht mehr einschlafen konnte.
    »Das Schwein hat Sie ausjeschlossen, nicht?« Die Alte winkte Maribel, ihr in die Wohnung zu folgen. »Heut bleiben Sie bei mir. Das Bett ist jemacht. Und morjen sajen Sie dem Kerl die Meinung.«
    »Danke. Aber das sollte ich besser sofort tun.« Die Vorstellung, die Nacht bei ihrer senilen Nachbarin verbringen zu müssen, behagte Maribel nicht. Die Frau war ihr fremder als Elisabeth Vita.
    Und doch hatte Frau Schmitz ihr ein Bett angeboten und ihre Chefin sie auf die Straße gesetzt.
    Das Eingeständnis beschämte Maribel. Sie hatte in dieser Stadt keine Freunde und sich nie Gedanken darüber gemacht. Allein gegen den Rest der Welt, lautete ihre Maxime. Zumindest hatte sie so gelautet bis zu dem Moment, in dem Boris in ihr Leben getreten war.
    »So ’ne Quatsch, Mädchen. Morjen früh ist jenug.« Die alte Frau bückte

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