Verlieb dich nie nach Mitternacht
ernsthaft nachzudenken.
»Wissen Sie, was ein Schraubenschlüssel ist?«
»Aber selbstverständlich.« Zumindest kannte Maribel den Begriff.
»In einem meiner Häuser ist eine Wohnung frei.«
Maribel runzelte die Stirn. »Umziehen wollte ich eigentlich nicht.«
Dohmen fuhr fort, als habe er nichts gehört. »Sie wohnen mietfrei. Von Ihrem Gehalt zahlen Sie monatlich zwanzig Prozent an mich zurück. Solange, bis Ihre Schulden getilgt sind. Was halten Sie davon?«
»Und wofür bekomme ich das Gehalt?«
»Dafür, dass Sie organisieren und mit Leuten umgehen. Es ist die Hausmeisterstelle.«
Dohmen bot ihr eine Wohnung, Gehalt und einen Ausweg aus ihren Schulden. Sie durfte nicht ablehnen. Sie konnte nicht ablehnen.
»Ja, ich mach’s.«
Erst nachdem sie den Vertrag unterschrieben hatte, begriff sie, worauf sie sich eingelassen hatte.
VII
Das flaue Gefühl in Maribels Magengegend stellte sich ein, als sie die Fassade ihres neuen Aufgabengebietes hinaufblickte. Sechs Etagen, im Karree gebaut. Zweiundneunzig Wohnungen, für die sie ab sofort zuständig war. Sie allein. Als Hausmeister. Ein Witz. Eine üble Laune des Schicksals.
»Sie sind der neue Hausmeister?« Eine Frau, deren auffälligstes Merkmal die spitze Nase war, zerrte an der Hand ein kleines Mädchen vorbei. Der Blick, den sie Maribel im Vorbeieilen zuwarf, verriet ihre Skepsis.
»Ja. Morgen ist mein erster Tag.« Maribel gab sich betont selbstbewusst.
»Dann kümmern Sie sich gleich mal um den Abfluss in der Waschküche. Der ist schon seit Tagen verstopft.« Der Linienbus, der in die Stadt fuhr, bog um die Ecke. Die Frau schob ihr Kind vor sich her, als sie in den Laufschritt verfiel. Außer ihnen stieg an dieser Haltestelle niemand zu.
Maribel zog den Kopf zwischen die Schultern, als sie sich umsah. Letzte Nacht hatte es zum ersten Mal in diesem Winter gefroren, und der Frost hatte die Wiesen und Sträucher mit einem weißen Überzug zurückgelassen. Die gesamte Gegend wirkte einsam. Das Wohnhaus, in dessen Erdgeschoss sie die kleine Hausmeisterwohnung bezog, befand sich mitten in einem Gewerbegebiet. Auf der Fahrt hierher hatte Maribel eine Schreinerei, einen Fahrradhandel und ein Autogeschäft gezählt. Ein graues Schild wies den Weg zu einer Imbissbude, die mit griechischem Gyros lockte.
Eine solche Gegend lebte werktags zwischen acht und siebzehn Uhr. Abends und an den Sonn- und Feiertagen herrschte Grabesstille.
Maribel tröstete sich damit, dass Arbeit und Wohnung nur Notlösungen waren. Sobald sich ihr etwas Besseres bot, würde sie den Job wieder hinwerfen. Bis es so weit war, musste sie sich irgendwie durchkämpfen.
*
Gegen Abend war Maribel so gut wie fertig eingerichtet. Da sie die Wohnung ohnehin nur als Übergangslösung betrachtete, hatte sie darauf verzichtet, vor dem Einzug gründlich zu renovieren. Den abgetretenen Teppichboden verschönerte sie notdürftig mit ein paar preiswerten Teppichresten aus dem Baumarkt. Die von Zigarettenqualm gelblich angelaufenen Tapeten ihres Vorgängers übertünchte sie mit zitronengelber Farbe. Wenn man genauer hinsah, schimmerten an einigen Stellen noch große Blütenblätter durch.
Maribel störte es nicht. Auch wenn ihr der Anblick der wenigen teuren Designermöbel, die sie besaß, in der ungewohnten Umgebung einen schmerzlichen Stich versetzte. Boris und seine Folgen waren noch lange nicht überwunden.
Kein Tag verging, an dem sie nicht an ihn dachte Seit seiner überstürzten Flucht aus ihrem Schlafzimmer hatte sie nichts mehr von ihm gehört. Er schien wirklich wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Eine Weile hatten die Zeitungen noch über den Fall berichtet, doch dann traten andere Tagesereignisse in den Vordergrund.
Mit einem Seufzer blickte sie auf ihre Armbanduhr. Es war zehn nach sechs. Der Jahreszeit entsprechend war es draußen bereits stockdunkel. Obwohl die Heizung seit Stunden auf der höchsten Stufe lief, bildeten sich links unten in der Ecke des Fensters Eisblumen.
Maribel legte die Hand auf den Bauch, als der ungeduldig zu knurren begann, und überlegte, was an Essbarem im Hause war. In den letzten Tagen hatte sie so viel zu organisieren gehabt, dass sie entweder darüber das Essen völlig vergessen oder aber sich irgendetwas in den Mund gestopft hatte. Meistens ein fettiges Croissant oder ein Stück Kuchen vom Bäcker. Mit dem Gehalt als Hausmeisterin im Rücken gönnte sie sich diesen Luxus. Doch nun verspürte sie Appetit auf Handfesteres.
Maribel beschloss, der
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