Verlieb dich nie nach Mitternacht
zwischen den Fingern.
»Grete, du blutest. Wir müssen hier weg.« Ein Querschläger hatte die Köchin getroffen. So schnell es ging, mussten sie sich in Sicherheit bringen, bevor auch sie verletzt wurden.
Maribel übernahm die Führung. »Bückt euch, so tief es geht, und folgt mir.«
*
Friedrich war den Tag über in Crefeld gewesen, wo er dem Notar, der die Rechtsgeschäfte der Familie von Leyen seit vielen Jahren betreute, einen Besuch abgestattet hatte. Die politische Lage machte ihm ebenso Sorgen wie die Gesundheit seiner Frau. Für den Fall, dass ihnen beiden etwas zustoßen sollte, war es ihm wichtig, seinen Sohn Wilhelm als seinen Alleinerben einzusetzen. Seine eigene Mutter, die sich zum Glück nach wie vor bester Gesundheit erfreute, bestimmte er bis zu Wilhelms Volljährigkeit zum Vormund. Auf diese Weise hoffte Friedrich, das wertvolle Land vor den Erbansprüchen seiner leiblichen Geschwister zu retten, die sich den Besitz nur zu gerne selbst einverleiben würden. Seit Kain und Abel hatte sich zwischen Geschwistern nicht viel verändert. Streitigkeiten waren auch in seiner Familie an der Tagesordnung, wenn es um das Familienerbe ging.
Nun war es bereits später Abend. Der Wind schnitt ihm ins Gesicht, als er auf dem Rücken seiner gutmütigen Stute nach Hause ritt. Friedrich zog die Krempe seines Hutes tief ins Gesicht. Er duckte sich in seinen Mantel. Trotzdem fühlte er sich bald völlig durchgefroren.
Diffuse Zweifel und Ängste quälten ihn. Der Sieg der alliierten Truppen schien unaufhaltsam, so viel war auch aus den Gesprächen, die er in der Stadt geführt hatte, klar geworden. Jeden Augenblick konnten die Verbündeten die napoleonischen Truppen vor sich her westwärts über den Rhein treiben.
Doch dann? Das war die große Frage, die in diesen bangen Stunden wohl die gesamte Bevölkerung beschäftigte.
Das Bild von Agnes, seiner Frau, erschien vor seinem Auge. Er hatte sie gebeten, mit ihm nach Crefeld zu kommen, um den Arzt aufzusuchen, doch sie hatte sich geweigert. Es wäre ein ganz normaler Vorgang, dass eine Frau sich nach der Geburt eines Kindes zunächst noch schwach fühlte, hatte sie vernünftig wie immer argumentiert. Was von alleine kam, ging auch von allein. Friedrich hatte lachen müssen. Den Spruch schien sie Grete abgelauscht zu haben. Ein Seufzer entfuhr ihm, als er sich erinnerte. Hoffentlich behielt seine Frau recht. Noch immer wurden Krankheiten und Todesfälle hier auf dem Land als gottgegeben angenommen. Der Weg in die nächste Stadt zum Arzt war einfach zu weit, zumal die meisten den Weg zu Fuß zurücklegen mussten. Die wenigstens verfügten über Pferd und Wagen. Trotzdem – mittlerweile machte Friedrich sich Vorwürfe, weil er nicht auf dem Arztbesuch bestanden hatte.
Instinktiv lenkte er seine Aufmerksamkeit zurück auf den Weg, als seine Stute die Ohren aufstellte. Vor ihm tauchte aus der Dunkelheit eine kleine Gruppe Frauen und Kinder auf.
Wer trieb sich so spät noch auf der Straße herum?
*
Der scharfe Wind verschluckte das Klappern der sich nähernden Hufe. Als Maribel es endlich wahrnahm, blickte sie sich erschrocken um. Sie rechnete mit einem weiteren Angriff. Doch zu ihrer grenzenlosen Erleichterung blickte sie geradewegs in die Augen Friedrichs. Ihr Herz hüpfte vor Freude. Adrenalin schoss durch ihre Adern. Ab sofort trug sie die Verantwortung für die anderen nicht mehr allein.
Erschrocken zügelte Friedrich sein Pferd. »Was macht ihr um diese Stunde hier auf der Straße?« Sein Blick flog über die Gesichter der Frauen und Kinder, die allesamt verängstigt wirkten.
»Wir sind überfallen worden.« Maribel hielt sich nicht mit Nebensächlichkeiten auf. »Grete ist verletzt. Auf dem Pferd käme sie besser voran.«
Ohne zu zögern, glitt Friedrich aus dem Sattel. Besorgt stützte er die geschwächte Grete und half ihr aufs Pferd.
»Was ist passiert?«
»Eine Horde Kosaken …«
»Sie sind schon über den Rhein?«
»Zumindest die fünf, die uns den Karren geraubt haben.« Berta hielt ihre Verzweiflung nicht zurück. »Alle unsere Sachen haben sie genommen.«
»Du bist die Mutter des Schweinejungen?« Friedrich war bereits früh am Morgen vom Hof aufgebrochen. Maribels Erklärung, Agnes habe die Frau als Amme für Wilhelm bestimmt, war ihm neu und beunruhigte ihn.
»Kannst du dich selbst festhalten?«, fragte er Grete. Die Köchin nickte, schwankte aber vor Schwäche. Friedrich musste seine Absicht, auch das kleinere der beiden Mädchen mit
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