Verlieb dich nie nach Mitternacht
versteht sie nicht.«
»Ich soll für Sie spionieren!«
»Du sollst mir helfen, Blutvergießen zu verhindern.«
Einen Moment lang schwieg Maribel betroffen. Sie dachte nach. »Mir gefällt es nicht, die Menschen, mit denen ich unter einem Dach leben, zu belügen.«
Sie musste unterbrechen. Ein Schluckauf quälte sie. »Sind Sie umgekehrt bereit, auch einen Rat von mir anzunehmen? Ich kenne die Menschen hier ein wenig besser als Sie.«
»Das kommt darauf an.« Andrej nickte, während er überlegte, ob er es wagen konnte, Maribel offen über seine wahre Identität aufzuklären.
Noch nicht, entschied er. Erst musste er mehr über ihr Leben hier auf dem Hof erfahren. Seit wann lebte sie hier? Unter welchen Bedingungen? Gab es einen anderen Mann, für den sie etwas empfand? Der letzte Gedanke bereitete ihm Unbehagen. Er würde es nicht ertragen, sie in den Armen eines anderen Mannes zu sehen.
»Ich lass nach dir rufen. Wie ist dein Name?« Nur der Form halber stellte er die letzte Frage.
»Maribel Weber. Und wie heißen Sie?«
Er grinste sie breit an. »Gibt es etwas Unwichtigeres als Namen?«
»Haben Sie einen Namen, für den Sie sich schämen müssen?« Maribel straffte sich. Der Kosak war gut einen Kopf größer als sie. Sie wollte es ihm nicht zu leicht machen, auf sie herabzusehen.
Um seine Augenwinkel herum zuckte es amüsiert. Er nahm ihre kalte Rechte und wärmte sie in seinen Händen. »Man nennt mich Andrej Makejew, befehlshabender Offizier der Leibgarde-Kosaken Seiner Majestät des Zaren von Russland.«
Seine Worte rauschten an Maribel vorbei. Seine Berührung öffnete tief in ihr eine Schleuse. Aufgestaute Sehnsüchte durchfluteten sie.
XXII
Zur selben Zeit verzog Friedrich schmerzhaft das Gesicht. Agnes hatte darauf bestanden, ihm eine zähe, nach Honig duftende Salbe auf die Wunde zu streichen, die von dem Peitschenhieb herrührte. Es brannte wie Feuer, doch bemüht, die Frauen nicht noch mehr zu ängstigen, gab er keinen Laut von sich. Gerührt küsste Agnes ihn auf die Stirn. Eine Geste der Zärtlichkeit, die sie sich selten erlaubte.
Sie zuckten zusammen, als jemand von außen ungestüm mit der Faust gegen die Haustür klopfte.
»Es ist der Schweinejunge.« Agnes ließ den Jungen herein. Er war so schnell gelaufen, dass er erst keuchend nach Luft schnappen musste, bevor er zu sprechen begann.
»Die Kosaken wollen Essen. Viel. Vor allem Fleisch. Viel Fleisch, sagt Maribel«, brachte er schließlich hervor.
»Gnädiger Herr?« Grete wartete erst Friedrichs stumme Zustimmung ab, bevor sie Lisette und den übrigen Mädchen befahl, ihr in die Vorratskammer zu folgen.
»Sind Jan und die übrigen Knechte draußen bei dem Mädchen?« Die Wunde in Friedrichs Gesicht schmerzte jetzt so stark, dass sie jeden anderen Gedanken aus seinem Kopf verdrängte. Doch er durfte sich nicht gehen lassen. Das Schicksal aller auf dem Hof konnte von seinem Verhalten abhängen.
»Keine der Frauen sollte allein mit den Kosaken zusammen sein. Ich werde nach ihr sehen«, erklärte er bestimmt. Er wollte sich erheben, doch die sanften Hände seiner Frau legten sich auf seine Schultern.
»Ich bitte dich, Friedrich, sei vernünftig. Diese Männer da draußen sind unberechenbar. Es sind Wilde. Geh keine Risiken ein.«
»Und wie stellst du dir das vor? Soll ich tatenlos zusehen, wie sie über unsere Mägde herfallen?« Ungehalten schob er sie beiseite. »Du und ich tragen die Verantwortung für diese Menschen. Wir dürfen sie nicht im Stich lassen.«
»Du brauchst es mir nicht erst zu sagen, Friedrich. Ich kenne meine Pflichten. Aber hast du auch einmal an deinen Sohn gedacht? Ich möchte nicht, dass er ohne seinen Vater aufwächst.«
»Unser Sohn weint. Sorge du besser dafür, dass er genügend zu essen bekommt«, entgegnete er so schroff, wie er noch nie zu seiner Frau gesprochen hatte. Dann schob er seinen Stuhl zurück und verließ das Haus.
Tief gekränkt blieb Agnes zurück.
*
Es brauchte nur einen kräftigen Windstoß, um in Friedrich das schlechte Gewissen zu wecken. Was war in ihn gefahren, in solch einem rüden Ton mit seiner Frau zu reden?
Er reckte den Hals, um auf dem Hof nach Maribel zu suchen, und entdeckte sie etwas abseits in der Nähe des Stalls. Zusammen mit dem Kosakenoffizier, dem er vermutlich bis zum Rest seines Lebens eine Narbe in seinem Gesicht verdankte. In der Dunkelheit konnte er nicht genau erkennen, was sie dort machten, doch als er näher kam, bemerkte er, wie sie die Hand, die er
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