Verlieb dich nie nach Mitternacht
Ende. Sie braucht ihren Schlaf«, antwortete Grete tapfer, als Friedrich wenig später wütend nach Maribel verlangte.
»Hol sie aus dem Bett! Sofort! Jetzt ist keine Zeit, im Bett zu liegen!«
»Das Mädchen hat ausgesehen wie ein Geist, als sie hereinkam. Bis heute Morgen lag sie noch schwer am Fieber nieder …«
»Maribel war krank?«
»Ich habe sie im Gefängnis abgeholt …«
Friedrich runzelte irritiert die Stirn. »Was hat sie im Gefängnis gemacht?«
»Genaues weiß ich auch nicht. Ein Trupp Soldaten hat sie aufgegriffen. Aber ich sage Euch: Wenn Maribel nicht gewesen wäre – ohne ihre Hilfe wäre ich vielleicht schon tot.«
Maribel hatte sich nicht einmal beklagt, seitdem sie das Gefängnis verlassen hatte. Im Gegenteil. Sie hatte sich um Bertas Kinder gekümmert, Gretes Wunde versorgt, sie alle davor bewahrt, in das Scharmützel zwischen französischen und russischen Soldaten zu gerate. Statt Dankbarkeit hatte sie nur Befehle geerntet. Das Mindeste, was Grete nun für das Mädchen tun konnte, war, ihm das drohende Unheil in Gestalt des eigenen Hofherrn zu ersparen.
In Friedrich gärte der Zorn. Auf Andrej, der so selbstherrlich auftrat, als gehörte ihm der Hof. Er hasste die Art, wie der Kosak auf ihn herabsah, obwohl sie nahezu gleich groß waren. Und er hasste es, nichts dagegen unternehmen zu können, weil er sonst das Leben der Hofbewohner gefährdete. Angeblich hatten Kosaken schon halbe Dörfer niedergebrannt, um der Bevölkerung ihren Willen aufzuzwingen.
Sein Zorn galt aber vor allem auch Maribel, die ihm vor allen offen die Stirn geboten hatte. Ein Verstoß gegen seine Autorität, den er nicht ungestraft lassen durfte. Doch wie sollte er reagieren? Jeden anderen hätte er auf der Stelle aus seinen Diensten entlassen und sich keine Gedanken darüber gemacht, welche Folgen seine Entscheidung für den Betreffenden haben würde.
Doch bei Maribel plagten ihn Skrupel. Eine ungewöhnliche Fügung des Schicksals hatte ihre Leben miteinander verknüpft. Nun war sie auf seine Hilfe angewiesen, so wie er in der Weihnachtsnacht sie gebraucht hatte.
»Wünscht Ihr immer noch, dass ich sie wecke?«
»Nein.« Barsch wandte Friedrich sich ab.
Gleich morgen früh würde er ihr verbieten, das Haus zu verlassen, sie notfalls einsperren lassen. Zu ihrem eigenen Schutz.
Sollte Lisette den Kosaken doch künftig den Branntwein bringen.
XXIII
Der Morgen dämmerte bereits, als sich die letzten Hausbewohner endlich schlafen legen konnten. Der kleine Kosakentrupp hatte am Rande des Hofes sein Lager errichtet. Dank des Brennholzes, das die Männer mit den langen Haaren und den struppigen Bärten reichlich in den Vorratsställen des Hofes fanden, loderte ihr Feuer hell und munter. Doch schwermütige Lieder, die von der Steppe ihrer Heimat erzählten, jagten den angespannt lauschenden Niederrheinern kalte Schauer über den Rücken. Der Gesang berührte und ängstigte sie zugleich. Irgendwann zeigte der Branntwein seine Wirkung. Es wurde ruhig auf dem Hof.
Trotzdem ließ Friedrich alle Riegel an Türen und Fenstern zweimal kontrollieren, bevor auch er sich endlich zu Bett begab.
Agnes wartete in seinem Zimmer auf ihn. Sie war eingenickt und lehnte mit geschlossenen Augen im Sessel. Bei seinem Eintreten blinzelte sie benommen, war aber sofort hellwach, als sie ihn erkannte. »Ist alles in Ordnung?«, fragte sie.
Friedrich konnte spüren, welche Kraftanstrengung es für sie bedeutete, hier auf ihn zu warten. Mit wenigen Schritten war er bei ihr. Sanft hob er ihre Hand an seinen Mund, um einen Kuss darauf zu hauchen.
»Es tut mir leid, Agnes. Ich wollte dich vorhin nicht verletzen. Es ist bloß alles …«
»Viel zu viel«, unterbrach sie ihn mit einem beruhigenden Lächeln. »Das Kind. Der Krieg. Diese junge Frau.«
Friedrichs Augenbrauen schossen in die Höhe. Sein Gesicht schien sich vor ihr zu verschließen. »Ich weiß nicht, was du meinst.« Er wollte sich von ihr zurückziehen, doch sie fasste nach seiner Hand und ließ sie nicht los. Liebevoll betrachtete sie den Mann, den sie geheiratet hatte, seine selbst in der Anspannung noch attraktiven Gesichtszüge. Sie liebte ihn von ganzem Herzen. Zärtlich zeichnete sie mit dem Finger den Striemen nach, den die Peitsche in seinem Gesicht hinterlassen hatte, zog ihn aber zurück, als Friedrich kaum merklich zuckte.
»Friedrich, wer ist diese Maribel? Ich habe Grete und Lisette nach ihr befragt. Keine von beiden hat je zuvor etwas von ihr gehört. Sie
Weitere Kostenlose Bücher