Verlieb dich nie nach Mitternacht
Übergangszeit finanziell unter die Arme greifen?«
Am liebsten hätte Maribel ihre Chefin mit beiden Händen an den Schultern gepackt und kräftig gerüttelt. Ein paar hundert Euro, um eine schwierige persönliche Situation zu überbrücken. Um mehr hatte sie nicht gebeten. Doch Elisabeth stellte sich an, als wollte Maribel gleich den ganzen Laden übernehmen. Maribel wagte nicht, darüber nachzudenken, wie viele der Cents, die Elisabeth Vita heftig vor ihr verteidigte, allein durch ihre Arbeitsleistung auf ihrem Konto lagerten.
»Es tut mir leid, dass ich gefragt habe.«
»Na sehen Sie.« Befriedigt nickte Elisabeth. »Sie können mir noch einen Gefallen tun. Gleich kommt ein Paar, bei dem Sie mich vertreten müssen. Ich habe einen Termin, den ich nicht verschieben kann.« Es handelte sich um ihren wöchentlichen Besuch im Kosmetikinstitut, den sie mittlerweile jedem Kundengespräch vorzog.
»Nichts Schwieriges. Nur zwei Kunden, die sich bei uns kennengelernt haben und mir ihre Dankbarkeit beweisen möchten.« Elisabeth verdrehte ironisch die Augen. Die Absätze klackerten laut, als sie den kleinen Vorraum des Instituts durchquerte. Kurz darauf fiel die Tür hinter ihr ins Schloss.
Erleichtert warf Maribel einen Blick auf ihre Armbanduhr. Ihr Arm zitterte vor Schwäche. Wie eine Welle erfasste sie ihren ganzen Körper. Der Besuch der Kriminalpolizei am Morgen hatte Maribel den Appetit auf das Frühstück verdorben. Nun war ihr übel vor Hunger. Mit flauem Magen durchstöberte sie die Schubladen ihres Schreibtisches. In der dritten Schublade von oben links fand sie ein paar alte, bröselige Schokoladenkekse, die nach Möbelpolitur schmeckten und grau angelaufen waren. Es war nicht auszuschließen, dass sie noch von Maribels Vorgängerin stammten. Maribel hatte sich nicht die Mühe gemacht, den Schreibtisch zu säubern, bevor sie ihn übernahm.
Ihre Sättigungskraft hatten die Kekse jedenfalls eingebüßt. Maribel fühlte sich mit ihnen im Magen noch genauso hungrig wie ohne. Sie schnappte sich ihre Handtasche und den Trenchcoat, den sie sich am Morgen achtlos übergeworfen hatte, und verließ das Büro. Mittagspause. Mit Glück schaffte sie es gerade noch rechtzeitig vor Schalterschluss zur Bank.
III
Den Besuch in der Sparkassenfiliale hätte sie sich getrost ersparen können. Nachdem Sven Hauke, der zuständige Mitarbeiter, dreimal nachgefragt hatte, ob Maribel ihrem Freund tatsächlich ihr Passwort genannt hatte, stand ihm sein Urteil über ihre Leichtfertigkeit überdeutlich ins Gesicht geschrieben.
»Ihnen ist bekannt, dass die Bank für den eingetretenen Schaden nicht haftbar gemacht werden kann?«
Spätestens jetzt wusste Maribel es. »Lässt sich denn wenigstens nachvollziehen, wo mein Geld geblieben ist?« Mit klopfendem Herzen beobachtete sie, wie Hauke mit eisiger Miene auf der Tastatur seines Computers herumtippte.
»So, wie es aussieht, wurde alles auf ein Nummernkonto in der Schweiz überwiesen.«
»Meine paar Euro? Das ist doch ein Witz.«
Hauke erhob sich von seinem Schreibtisch und trat zu ihr an den Bedienungsschalter. Er verzichtete darauf, Maribel in die diskretere Besucherecke zu bitten. »Wenn Liebe blind macht, hat sie bei Ihnen ganze Arbeit geleistet.« Mitgefühl oder Unverschämtheit? Maribel war sich nicht sicher, wie sie seine Bemerkung einschätzen sollte. »Wenn Sie mir den Dispo erhöhen, kann ich …«
»Ausgeschlossen. Er steht bereits an der äußersten Grenze des Möglichen.«
»Einen Kredit würden Sie vermutlich auch ablehnen?«
»Besitzen Sie Immobilien?«
»Nein.«
»Aktien oder andere Wertpapiere?«
»Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?«
»Dazu bin ich nicht befugt.«
»Scherzkeks.« Böse funkelte sie ihn an. Bedauernd verzog er das Gesicht.
»Lassen Sie sich doch einen Vorschuss geben.«
Maribel enthielt sich jeden Kommentars. Nur ihrem angeborenen Selbsterhaltungstrieb verdankte sie es, dass sie die Bank mit hocherhobenem Kopf verließ.
Es ließ sich nicht leugnen: Ihre Finanzlage war kritisch. Doch wenn sie sich in den kommenden Wochen jeden überflüssigen Luxus verkniff und eisern sparte, bestand zumindest die Hoffnung, ihr Konto in absehbarer Zeit ausgleichen zu können.
Maribel legte ihre Hand auf den Bauch. Ob ein Schokoladencroissant und zwei Stücke Kirschstreusel bereits unter die Luxusklausel fielen? Sie zählte die Geldstücke in ihrem Portemonnaie, bevor sie eine Bäckerei betrat, um sich für ein Croissant und ein Stück Kuchen zu
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