Verlieben war nicht abgemacht - Asher, B: Verlieben war nicht abgemacht - The Pretend Wife
kehrte zu seinen Notizen an den Esstisch zurück.
Was mir als Erstes klar wurde, war, dass meine Mutter keine zwanghafte Perfektionistin gewesen war, was ihre Strickerei anging. Es gab fest gestrickte Reihen, bei denen man förmlich spürte, wie sie den Wollfaden gespannt und die Finger verkrampft hatte, und dann wieder normale Strecken, aber die festen, kleinen Maschen traten immer wieder auf. Es gab auch extrem lockere Reihen, die den Eindruck machten, als wären sie in einer Phase des Abgelenktseins entstanden. Ich nahm an, dass ich die Ablenkung gewesen war.
Auf dem Grund eines Kartons lagen mehrere eselsohrige Taschenbücher über Stricktechniken. Meine Mutter hatte einige Muster und Anleitungen mit blauem Kugelschreiber eingekringelt, aber die anderen Muster – Spitze, Zopf, Rippen – tauchten nirgends auf. Sie hatte sich offenbar auf die Grundmuster beschränkt.
Wieder kniete ich mich auf die Decke, die noch immer ausgebreitet auf dem Boden lag, und ich erkannte den Verlauf mehrerer Tage, die komplizierte Folge von Emotionen – eine hektische Betriebsamkeit, die einer tiefen Verzweiflung wich, das typische Muster der manischen Depression. Ich rief nach meinem Vater. Die Tür öffnete sich so schnell, als hätte er davor gewartet. Seine Wangen waren gerötet, seine Augen voller Erwartung.
»Eine Frage.« Ich stand so schnell auf, dass mir schwindlig wurde. Halt suchend umklammerte ich eine Quaste der Decke, die ich mit hochgezogen hatte.
»Ja?«
Ich schaute meinen Vater an, der plattfüßig, mit bis obenhin zugeknöpfter Strickjacke und jetzt ängstlichem Blick in der Tür stand. Es wäre mir wohler gewesen, wenn ich es ihm hätte leichter machen, meine Fragen gewissermaßen hätte polstern können, aber ich wusste nicht wie, und sosehr ich ihn beschützen wollte – ich war des Beschützens müde, und zwar sowohl was ihn als auch was mich selbst anging. Ich war des Versteckens müde. »War sie selbstmordgefährdet?«
Er erstarrte für einen Moment, dann nickte er. Tiefe Stille. Irgendwo draußen brummte ein Laubpuster. Tränen glänzten in den Augen meines Vaters. Wieder schüttelte er den Kopf. »Mit dir auf dem Rücksitz hätte sie nicht versucht, sich umzubringen. Niemals.«
»Wo wollte sie denn mit mir hin, mitten in der Nacht?«
Er ließ sich in einen Polstersessel sinken und rieb sich das Kinn, als wolle er es am Zittern hindern. Auf einmal wirkte er klein und zerbrechlich. »Sie hatte mich verlassen.«
»Sie hatte dich verlassen?« Ich setzte mich auf eines der Sofas und ließ den Blick über die gestapelten Stricksachen, die Bücher, die leeren Kartons gleiten. »Warum hast du mir das nicht erzählt?«
»Sie wäre zurückgekommen«, sagte er, doch sein Ton verriet Zweifel. »Ich weiß es.«
»Hattet ihr euch gestritten?« Ich erinnerte mich nicht, jemals erlebt zu haben, dass meine Eltern sich stritten, geschweige denn die Stimme erhoben. In meiner Jugend wünschte ich, sie wären lebhafter gewesen, damit ich Erinnerungen gehabt hätte – selbst schlechte wären besser gewesen als die vage nostalgischen, die nichts boten, an das ich mich halten konnte.
»Nein«, sagte er. »Dazu war sie viel zu sanft. Sie hatte nichts Kriegerisches in sich. So war sie nicht. Es sei ein Zerfall, sagte sie zu mir. Sie fühle sich zerfallen, und sie müsse Abstand von mir gewinnen, um zu erkennen, was dieses Gefühl bedeute.«
»Wohin wollte sie?«
»Zu einer Freundin aus ihrer Zeit am Mount Holyoke College.«
»Und wie kam es zu dem Unfall?«
»Genau weiß ich das auch nicht. Die Straße war nass, und da war eine Baustelle. Deine Mutter war erschöpft. Sie hatte seit Tagen nicht geschlafen.« Ich malte mir aus, wie sie, schwindlig vor Übermüdung, das Lenkrad herumriss, wie die Baustellenmarkierungen in der feuchten Nachtluft blinkten – vielleicht eher verwirrend als wegweisend. Vielleicht schlief sie auch schon.
»Wer hat mich aus dem Auto gerettet?«
»Ein Mann namens Martin Mendez. Ein Fremder. Ich war mal einen Kaffee mit ihm trinken.«
»Ihr habt euch getroffen?« Das verblüffte mich. Hatte der Mann den Ort des Unfalls beschrieben? Den Hergang? Den Tod meiner Mutter?
»Ich wollte so viel wie möglich erfahren«, sagte mein Vater leise. »Er war ein anständiger Mann. Ist vor ein paar Jahren gestorben.«
»Was hat er erzählt?«
»Er sah, wie der Wagen ins Schleudern geriet und von der Brücke in den Fluss stürzte …« Mein Vater hielt inne, doch nach einer kurzen Pause fuhr er fort:
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