Verlieben war nicht abgemacht - Asher, B: Verlieben war nicht abgemacht - The Pretend Wife
Fingern. »Es ist wirklich verrückt«, sagte ich, und diesmal meinte ich es ernst.
»Ja.«
»Soll das heißen, dass meine Mutter verrückt war?«
»Sie war leidend.« Er legte die Hände aneinander und neigte den Kopf wie zum Gebet. »Das ist etwas anderes.«
Meine Mutter war – leidend? Auf den Gedanken war ich nie gekommen. Sie war tot, und damit hatte ich genug zu tun, genug, um mich schuldig zu fühlen. Und jetzt erfuhr ich, dass sie leidend gewesen war. »Inwiefern?«
»›Verrückt‹ klingt, als hätte sie etwas aus Mutwillen getan, aus Spaß«, sagte er mit einem Anflug von Zorn in der Stimme. »Als wäre sie durchgedreht und völlig außer Kontrolle gewesen!«
»Entschuldige. So habe ich es nicht gemeint.«
»Ich weiß. Tut mir leid.«
»Es ist nur eine solche Menge.« Ich trat einen Schritt vor.
»Vorsicht«, warnte er. »Denk daran – bleib auf den Balken.«
»Es ist so traurig.« Ich zupfte an dem Klebeband, das den Deckel des mir am nächsten stehenden Kartons fixierte. »So viel … Leiden. Warum hast du mir das hier nicht früher gezeigt?«
»Ich dachte, es würde dich vielleicht erschrecken.«
»Ich denke, ich hätte das Recht gehabt, es zu erfahren!«
Mein Vater schaute um sich, strich sich die spärlichen Haare glatt und sagte: »Ja, das hattest du. Ich wollte dich nur nicht erschrecken.«
Ich wusste nicht genau, was er damit meinte, aber ich hatte das Gefühl, er wollte damit andeuten, dass ich in gewisser Hinsicht übersensibel war. »Du dachtest, ich könnte befürchten, ebenfalls verrückt zu werden?«
»Vielleicht. Mitunter machte sie dir Angst, als du klein warst. Du hocktest zu ihren Füßen, den Kopf in ihrem Schoß, und sie summte ein Schlaflied für dich, und dabei strickte sie wie besessen. Du wusstest, dass etwas nicht stimmte, instinktiv, wie es typisch ist für kleine Kinder … Ich erkannte es an der Art, wie du sie manchmal anschautest. Ich kann es nicht erklären.«
Ich brauchte Fakten. »Sie hatte eine Zwangsstörung.«
Er schüttelte den Kopf. Es war deutlich, dass es ihm noch immer schwerfiel, über ihre Probleme zu sprechen. »Sie war leidend.«
»War sie depressiv?«
»Ja.« Er knöpfte seine Strickjacke zu. »Genau gesagt manisch-depressiv.«
Wieder glitt mein Blick zu den Kartons. Sie schienen von allen Seiten auf mich zuzukommen. »Ich will alle durchsehen«, sagte ich.
»Die Kartons?«
»Ja.«
»Tu das nicht.« Tränen standen in seinen Augen. »Das hältst du nicht aus. Es ist alles weggepackt. Belass es dabei.«
»Ich werde alles durchsehen. Mein Entschluss steht fest.« Wieder wandte ich mich ihm zu. Er schaute mich mit aneinandergelegten Händen und einem Ausdruck an, den ich von ihm nicht kannte. Flehend? »Was hast du erwartet?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete er. »Ich dachte, ich sollte dir etwas über sie erzählen. Dies hier ist, was ich dir anzubieten hatte.«
»Ich werde alles sichten.«
»Die Kartons sind unhandlich. Am besten schaffen wir sie gemeinsam nach unten. Lass mich dir helfen.«
Ich machte mich sofort ans Werk, hektisch, fast panisch, schuftete stundenlang, türmte Stapel auf, legte Decken zusammen, Pullover, Handschuhe, rollte Sockenpaare auf. Nachdem ich eine gewisse Ordnung geschaffen hatte, breitete ich eine der Decken meiner Mutter auf dem Boden aus und kniete mich mit tränenblinden Augen darauf. Sie hatte Quasten am Rand, und ich erinnerte mich vage daran, wie weich sie sich angefühlt hatten. Die Menge der Stricksachen – Schals, Kissenbezüge, Mützen, Pullover – erzählte mir eine Geschichte, doch ich beschloss, eine Decke ganz besonders zu studieren, nur eine, um zu sehen, was ich aus ihrer Art zu stricken über meine Mutter erfahren könnte. Ich wusste herzlich wenig über diese Art der Handarbeit, hatte mich nur eine kurze Zeit damit beschäftigt, damals auf dem College. Es hatte mich an meine Mutter erinnert. Seinerzeit wusste ich nur, dass sie Kindersachen für mich gestrickt hatte. Ich hatte keine Ahnung, dass es eine Manie von ihr gewesen war. Ich fuhr mit den Fingerspitzen über die Maschen, als versuchte ich, Blindenschrift zu lesen.
Mein Vater kam hin und wieder herein, brachte mir Tee oder fragte mich, ob ich noch welchen wollte. Ich lehnte jedes Mal ab.
Dann blieb er stehen, wartete darauf, dass ich ihm sagte, was ich sah oder zumindest, was ich suchte, aber ich hatte in beiden Fällen keine Antwort für ihn. Also sagte er: »Na, dann … lass mich wissen, wenn du etwas brauchst«, und
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