Verliebt bis unters Dach Roman
Humor und ihre gewisse Naivität. Sie war schlicht, aber nicht dumm, vielmehr offen und bereit, immer nur das Gute im Leben zu sehen. Heutzutage war es so leicht, zynisch zu sein. Ihre Offenheit war fast kindlich zu nennen: ihr Vertrauen, ihr Humor, ihr Optimismus. Aber jetzt sah er sie an und erkannte, wer sie war und wie sie war.
Sie war wie Gisele Bündchen - nein, keine hochgewachsene und arrogante Schönheit. Das ließ sich kaum mit Liesels Frische vergleichen. Sie war eine erwachsen gewordene Judy Garland, eine Amerikanerin mit dem Gesicht einer englischen Rose. Judy Garland war außer Tom Jones ein Liebling seiner Mutter gewesen. Sie hatte Musik geliebt, obwohl sie nach außen hin eine gefühllose, steife Frau gewesen war. Er hatte sie nur ein einziges Mal weinen sehen, und das war, als sie allein im Wohnzimmer Madame Butterfly in voller Lautstärke gehört hatte.
Liesel war ebenso schön wie die Musik.
Liesel ihrerseits sah Tom an und musste sich in Erinnerung rufen, dass er eigentlich nicht ihr Typ war. Es war nicht ihre Schuld, dass er ihre Lieblingsjeans für einen Mann trug, eine Moleskin Ted Baker in Dunkelblau. Seine Schenkel sahen darin aus wie von Samt umspannt und schrien geradezu danach, gestreichelt zu werden. Abgesehen von dieser grausamen Verlockung trug er ein langärmliges Hugo-Boss-Hemd, dessen beide oberen Knöpfe offen waren. Das gedämpfte Silbergrau der Seide ließ seine Augen wie Platin erscheinen, obwohl sie beim letzten Mal noch grün gewirkt hatten.
Er stieg aus dem großen Range Rover aus und ging um den Wagen herum, um sie zu begrüßen und ihr die Tür aufzuhalten
wie ein Gentleman, als den sie ihn bereits kannte. Dann blieben sie beide stehen und... starrten einander an.
Sehr lange.
Es war, als würde ihnen ein Offenbarungseid um die Ohren geschlagen, nachdem sie monatelang auf die ungeöffneten Mahnungen gestarrt hatten. Man wusste, dass es so kommen würde, aber - verdammt, hatte man nicht alles getan, es zu ignorieren? Mit dieser plötzlichen Erkenntnis wurde ihre bisher lockere Freundschaft plötzlich sehr steif.
Um das Schweigen auf der Fahrt zu lockern, stellte er die Stereoanlage lauter, die bisher nur leise gebrummt hatte. Ohne nachzudenken begann Liesel mitzusingen.
»Ich liebe diesen Song«, murmelte sie leicht verlegen, als sie merkte, dass er sie aus dem Augenwinkel beobachtete.
»Ich auch«, antwortete er und begann selbst mitzusingen. Sie stimmte kurz darauf wieder ein.
Seine Freunde hießen Sally und Toby. Sie trafen sich in Truro vor einer Kunstgalerie am Kai mit dem schönen Namen Lemon Quai.
Sally war rundlich, fröhlich und sehr hübsch. Sie hatte große Bernsteinaugen und einen Schopf wilder blonder Locken. Außerdem hatte sie das ansteckendste Lachen, das Liesel jemals gehört hatte. Man wollte sie zum Lachen bringen, nur um es zu hören - so köstlich wie das Glucksen eines Babys, dass man jedes Mal unfreiwillig lächeln musste.
Toby war wie seine Frau - stattlich, lebhaft und leidenschaftlich. Er stammte aus Cornwall, war aber in London aufgewachsen. Sein Spitzname »Humpen« passte sehr gut zu ihm.
»Rund, glänzend und normalerweise voller Bier«, sagte er lachend zu Liesel.
Toby und Tom waren befreundet, seitdem sie beide als ängstliche Neulinge in einem strengen Internat angekommen waren. Sie hatten nebeneinander an ihren Pulten im Zimmer eines Mr. Herbert gesessen, der groß, mager und gemein war und den Spitznamen Herbert der Schreckliche hatte. Sie hatten gelobt, Freunde zu bleiben, bis sie nebeneinander im Rollstuhl im Altersheim saßen.
Die drei kannten sich schon so lange, dass die Unterhaltung oft nur in Kürzeln stattfand und für Außenstehende immer erst übersetzt werden musste, aber sie waren sehr nett und freundlich und gaben sich Mühe, dass Liesel, die plötzlich ganz schüchtern geworden war, sich nach ein paar Minuten in ihrer Gesellschaft wohlfühlte.
Sally hatte die Rolle eines inoffiziellen Führers übernommen und zeigte Liesel die Galerie, wobei sie sie gleichzeitig über die Geschichte ihrer Freundschaft aufklärte.
»Wir waren alle auf derselben Schule. Nun, die Jungs waren schon von der Vorschule an da, und Mädchen waren erst in den letzten beiden Klassen zugelassen.«
»Genau. Sie hüpfte in den Klassenraum, als würde er ihr gehören«, unterbrach Toby sie von hinten. »Ich habe sie einmal angesehen, Tom angestoßen und gesagt: Das gibt Probleme . Ich hatte Recht.«
»Du hast eigentlich gesagt: Das
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