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Verliebt in die verrückte Welt - Betrachtungen, Gedichte, Erzählungen, Briefe

Verliebt in die verrückte Welt - Betrachtungen, Gedichte, Erzählungen, Briefe

Titel: Verliebt in die verrückte Welt - Betrachtungen, Gedichte, Erzählungen, Briefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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dich selbst zurück.
    Dort ist alles, was du brauchst,
    Sonne, Stern und Mond,
    Denn das Licht, danach du frugst,
    In dir selber wohnt.
    Weisheit, die du lang gesucht
    In den Bücherein,
    Leuchtet jetzt aus jedem Blatt –
    Denn nun ist sie dein.
    April 1918
An seinen Sohn Bruno
    A lles, was Du mir schreibst, klingt lebendig in meinem Herzen wider. Du weißt ja, ohne daß ich viel sage, daß ich Deine Schwierigkeiten und Mutlosigkeiten ganz verstehe; Du hast sie ja von mir geerbt und bist meinesgleichen, und für Menschen wie wir ist das Leben oft schwierig. Aber wir haben dafür so viel, was die anderen, die scheinbar einfachen und glücklicheren Naturen, nicht haben. Wir verlangen viel von uns und wollen, daß unser Leben einen Sinn und ein hohes Ziel habe – und das hat es auch, immer wieder, trotz den Verdunkelungen.
    Die Gabe, mich als Dichter ausdrücken zu können, habe ich zwar von Hause aus, aber ich mußte doch Jahrzehnte mich mühen und lernen und mich üben, ehe ich mein Handwerk einigermaßen konnte. Und auch heute noch vergeht mir der Mut, wenn ich mich mit den von mir geliebten großen Dichtern vergleiche. Ich bin weder ein Goethe noch ein Eichendorff, ich sehe ihre süße Fülle und stille Meisterschaft als etwas Unerreichbares in der Ferne stehen. Aber das Tröstliche und Schöne für uns ist das: jeder von uns Künstlern, auch wenn er viel an sich zweifeln muß und sein Talent und Können als scheußlich klein empfindet, hat einen Sinn und eine Aufgabe und leistet, wenn er sich treu bleibt, an seinem Ort etwas, was nur er zu geben hat. Wenn Du mit mir im Tessin malst, und wir beide das gleiche Motiv malen, so malt jeder von uns nicht sosehr das Stückchen Landschaft als vielmehr seine eigene Liebe zur Natur, und vor dem gleichen Motiv macht jeder etwas anderes, etwas Einmaliges. Und sogar wenn wir zuzeiten nichts anderes empfinden und sagen können als unsre Trauer und das Gefühl unseres Ungenügens, so hat doch auch das seinen Wert. Noch das traurigste Verzweiflungsgedicht, etwa von Lenau, hat außer der Verzweiflung auch noch seinen süßen Kern. Und wie viele Maler, die für Stümper oder für Barbaren in der Kunst galten, erwiesen sich nachher als edle Kämpfer, deren Werke den Nachfolgern oft tröstlicher sind und inniger geliebt werden als die größten Werke der klassischen Könner!
    So, lieber Sohn, sind auch wir beide, Du und ich, Mitarbeiter an einem Werk, das so alt ist wie die Welt, und wir müssen und dürfen daran glauben, daß Gott auch mit jedem von uns etwas gemeint und beabsichtigt hat, was wir selber gar nie ganz erkennen, nur manchmal ahnen können . . .
    Und wenn die ganze Welt uns den Rücken kehrt und nur noch für Boxer schwärmt, so können doch wir beide einander verstehen, lieben und mit unsern Werkchen beschenken und erfreuen. Wir wollen noch viel Schönes miteinander haben, solang ich noch da bin . . . Dein Vater
    7. Januar 1928
    J a, leben Sie dem Drang Ihres Herzens nach! Es ist der beste Weg. Was gut und was schlecht ist, weiß ich nicht, es ist mir immer zweifelhafter geworden. Gut ist der Mensch, wenn zwischen seinen Urtrieben und seinem bewußten Leben Harmonie herrscht, andernfalls ist er böse und gefährlich, einerlei ob er ein Kriegsgewinner oder ein Asket in der Wüste sei.
    Aus einem Brief vom Herbst 1919
Die Flamme
    O b du tanzen gehst in Tand und Plunder,
    Ob dein Herz sich wund in Sorgen müht,
    Täglich neu erfährst du doch das Wunder,
    Daß des Lebens Flamme in dir glüht.
    Mancher läßt sie lodern und verprassen,
    Trunken im verzückten Augenblick,
    Andre geben sorglich und gelassen
    Kind und Enkeln weiter ihr Geschick.
    Doch verloren sind nur dessen Tage,
    Den sein Weg durch dumpfe Dämmrung führt,
    Der sich sättigt in des Tages Plage
    Und des Lebens Flamme niemals spürt.
    19. Dezember 1910
    E s gibt für uns keinen andern Weg der Entfaltung und Erfüllung als den der möglichst vollkommenen Darstellung des eigenen Wesens. »Sei Du Selbst« ist das ideale Gesetz, zu mindest für den jungen Menschen, es gibt keinen andern Weg zur Wahrheit und zur Entwicklung.
    Daß dieser Weg durch viele moralische und andre Hindernisse erschwert wird, daß die Welt uns lieber angepaßt und schwach sieht als eigensinnig, daraus
     entsteht für jeden mehr als durchschnittlich individualisierten Menschen der Lebenskampf. Da muß jeder für sich allein, nach seinen eigenen
     Kräften und Bedürfnissen, entscheiden, wie weit er sich der Konvention unterwerfen oder

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