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Verliebt in die verrückte Welt - Betrachtungen, Gedichte, Erzählungen, Briefe

Verliebt in die verrückte Welt - Betrachtungen, Gedichte, Erzählungen, Briefe

Titel: Verliebt in die verrückte Welt - Betrachtungen, Gedichte, Erzählungen, Briefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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Gewohnheitsrecht aller Menschen, auch der Psychologen, Gebrauch und projiziere nicht
     nur in die Menschen, sondern sogar in die Dinge und Einrichtungen meiner Umgebung, ja, in die ganze Welt meine Denkart, mein Temperament, meine
     Freuden und Leiden hinein. Meine Gedanken und Gefühle für »richtig«, für berechtigt zu halten, diesen Genuß lasse ich mir nicht rauben, obwohl die
     Umwelt mich stündlich vom Gegenteil zu überzeugen sucht, ja, ich mache mir nichts daraus, die Majorität gegen mich zu haben, ich gebe eher ihr
     unrecht als mir. Damit halte ich es wie mit meinem Urteil über die großen deutschen Dichter, welche ich darum nicht minder verehre, liebe und
     brauche, weil die große Mehrzahl der lebenden Deutschen das Gegenteil tut und die Raketen den Sternen vorzieht. Raketen sind hübsch, Raketen sind
     entzückend, sie sollen hochleben! Aber Sterne! aber ein Auge und Gedanke voll ihrer stillen Lichter, voll ihrer weit schwingenden Weltmusik – o
     Freunde, das ist doch noch anders!
    Aus »Kurgast«, 1923
Feuerwerk
    M eine Freunde und Feinde wissen und tadeln es längst: ich habe an vielen Dingen keine Freude und glaube an viele Dinge nicht, die der Stolz der heutigen Menschheit sind; ich glaube nicht an die Technik, ich glaube nicht an die Idee des Fortschritts, ich glaube weder an die Herrlichkeit und Größe unserer Zeit noch an irgendeine ihrer »führenden Ideen«, während ich hingegen vor dem, was man »Natur« nennt, eine unbegrenzte Hochachtung habe.
    Und dennoch gibt es manche Erfindungen und Überlistungen der Naturkräfte, die ich außerordentlich bewundere und liebe, die ich ebenso und eher noch mehr liebe als die Erscheinungen der Natur. Während ein Motorwettfahren mich nicht einen Meter weit aus meiner Stube zu locken vermag, bin ich durch ein Ohr voll echter Musik, durch den Anblick einer echten Architektur, durch den Vers eines Dichters überaus leicht zu zähmen, und bewundere den Menschengeist, der solche Dinge hervorgebracht hat. Wenn ich es recht betrachte, sind es eigentlich nur die »nützlichen« Erfindungen, denen ich abgeneigt bin und mißtraue. Bei diesen angeblich nützlichen Errungenschaften ist immer so ein verfluchter Bodensatz dabei, sie sind alle so schäbig, so ungroßmütig, so kurzatmig, man stößt so schnell auf ihren Antrieb, auf die Eitelkeit oder die Habsucht, und überall hinterlassen diese nützlichen Kulturerscheinungen einen langen Schweif von Schweinerei, von Krieg, von Tod, von verheimlichtem Elend. Hinter der Zivilisation her ist die Erde voll von Schlackenbergen und Abfallhaufen, die nützlichen Erfindungen haben nicht nur hübsche Weltausstellungen und elegante Automobilsalons zur Folge, sondern es folgen ihnen auch Heere von Bergwerkarbeitern mit blassen Gesichtern und elenden Löhnen, es folgen ihnen Krankheiten und Verödung, und daß die Menschheit Dampfmaschinen und Turbinen hat, dafür zahlt sie mit unendlichen Zerstörungen im Bild der Erde und im Bilde des Menschen, dafür zahlt sie mit Zügen im Gesicht des Arbeiters, mit Zügen im Gesicht des Unternehmers, mit Verkümmerungen der Seele, mit Streiken und mit Kriegen, mit lauter schlimmen und abscheulichen Dingen, während dagegen dafür, daß der Mensch die Violine erfunden, und dafür, daß jemand die Arien im Figaro geschrieben hat, keinerlei Preis bezahlt werden muß. Mozart und Mörike haben der Welt nicht viel gekostet, sie waren wohlfeil wie der Sonnenschein, jeder Angestellte in einem technischen Bureau kommt teurer.
    Aber wie gesagt, alle Achtung vor gewissen Erfindungen! Namentlich alle jene Erfindungen, die den Stempel des Unnützen, der Müßiggängerei, des Spielerischen und Verschwenderischen an sich tragen, liebe ich von Kind auf mit Leidenschaft. Es gehören zu diesen Künsten nicht nur die der Musik, der Dichtung usw., sondern noch manche andere. Je unnützer eine Kunst ist, je weniger sie irgendwelchen Notdürften dient, je mehr sie den Charakter des Luxus, des Müßiggangs, der Kinderei an sich trägt, desto lieber ist sie mir.
    Und da ist es mir eine schöne und merkwürdige Erfahrung, daß die Menschheit eigentlich gar nicht immer so ist wie sie gern tut, gar nicht so unendlich praktisch und nützlichkeitsbetrunken, gar nicht so happig und berechnend. Erst dieser Tage habe ich wieder einen entzückenden Beweis davon erhalten. Unsre kleine Stadt am See hat ein großes Feuerwerk abgebrannt. Das Feuerwerk hat, die langen Pausen mitgerechnet, knapp eine Stunde gedauert, und

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