Verliebt in die verrückte Welt - Betrachtungen, Gedichte, Erzählungen, Briefe
ja, geglückt, und bin damit sehr zufrieden – für Stunden. Und immer wenn ich meinen Glauben wieder einmal
auf eine gute Formel gebracht zu haben glaube und ausgesprochen habe, wird er mir bald zweifelhaft und töricht, und ich muß nach neuen Bewährungen
und neuen Formen suchen. Bald ist das Qual und Not, bald Seligkeit.
Aus einem Brief vom Oktober 1932
E s gab in der Natur keine Güte und Vernunft. Aber es gibt Güte und Vernunft in uns, in uns Menschen, mit denen der Zufall spielt, und wir können stärker sein als die Natur und als das Schicksal, sei es auch nur für Stunden. Und wir können einander nahe sein, wenn es not tut, und einander in verstehende Augen sehen, und können einander lieben und einander zum Trost leben.
Und manchmal, wenn die finstere Tiefe schweigt, können wir noch mehr. Da können wir für Augenblicke Götter sein, befehlende Hände ausstrecken und Dinge
schaffen, die vordem nicht waren und die, wenn sie geschaffen sind, ohne uns weiterleben. Wir können aus Tönen und aus Worten und aus andern
gebrechlichen wertlosen Dingen Spielwerke erbauen, Weisen und Lieder voll Sinn und Trost und Güte, schöner und unvergänglicher als die grellen
Spiele des Zufalls und Schicksals. Wir können Gott im Herzen tragen, und zuzeiten, wenn wir seiner innig voll sind, kann er aus unsern Augen und aus
unsern Worten schauen und auch zu andern reden, die ihn nicht kennen oder kennen wollen. Wir können unser Herz dem Leben nicht entziehen, aber wir
können es so bilden und lehren, daß es dem Zufall überlegen ist und auch dem Schmerzlichen ungebrochen zuschauen kann.
Aus »Gertrud«, 1908/09
E in objektiver und allen gemeinsamer Sinn des Lebens ist nicht erkennbar. Der Primitive lebt es wie das Tier, triebhaft und ohne das Bedürfnis, um einen Sinn zu wissen. Der Differenzierte lebt schwieriger und dennoch schöner. Für unsereinen hat das Leben genau so viel Sinn, als wir ihm zu geben imstande sind. Ob einer den Sinn in der Kunst oder in den Wissenschaften sehe, ob er Sinne und Seele zum weisen Genuß des Schönen erziehe oder seine moralische Vervollkommnung anstrebe – es sind lauter Werte, die genügen, um das Leben lebenswert zu machen.
Aus einem Brief vom Herbst 1946
I ch nehme das Suchen jedes Menschen ernst, einfach als Lebenstatsache, ich habe vor jedem Menschen unbedingt Respekt, solang er sich mir nicht durch wirkliche Erfahrung als wertlos zeigt. Ich war sogar so naiv, für mich und meine Arbeit das gleiche als selbstverständlich vorauszusetzen: nämlich daß der Leser mich entweder wegwerfe oder aber mir so viel Vertrauen schenke, daß er mir zutraut, es sei mir ernst.
Aber auch diese Kluft zwischen Ihnen und mir kommt nur von den Lebensaltern her. Für Sie, die Jungen, hat Ihr eigenes Sein, Ihr Suchen und Leiden, diese große Wichtigkeit mit Recht. Für den, der alt geworden ist, war das Suchen ein Irrweg und das Leben verfehlt, wenn er nichts Objektives, nichts über ihm und seinen Sorgen Stehendes, nichts Unbedingtes oder Göttliches zu verehren gefunden hat, in dessen Dienst er sich stellt und dessen Dienst allein es ist, der seinem Leben Sinn gibt.
Also: Ihr Suchen und Leiden nehme ich unbedingt ernst. Und ich wünsche Ihnen sehr, daß das Ergebnis Ihres Suchens sich einmal als dem meinen ähnlich erweisen wird: nicht in den Formen und Bildern, durch die es sich ausdrückt, sondern in der Sinngebung und Wertgebung für Ihr eigenes Leben.
Das Bedürfnis der Jugend ist: sich selbst ernst nehmen zu können. Das Bedürfnis des Alters ist: sich selber opfern können, weil über ihm etwas steht, was es ernst nimmt. Ich formuliere nicht gern Glaubenssätze, aber ich glaube wirklich: ein geistiges Leben muß zwischen diesen beiden Polen ablaufen und spielen. Denn Aufgabe, Sehnsucht und Pflicht der Jugend ist das Werden, Aufgabe des reifen Menschen ist das Sichweggeben oder, wie die deutschen Mystiker es einst nannten, das »Entwerden«. Man muß erst ein voller Mensch, eine wirkliche Persönlichkeit geworden sein und die Leiden dieser Individuation erlitten haben, ehe man das Opfer dieser Persönlichkeit bringen kann.
Aus einem Brief vom Januar 1933
Der Blütenzweig
I mmer hin und wider
Strebt der Blütenzweig im Winde,
Immer auf und nieder
Strebt mein Herz gleich einem Kinde
Zwischen hellen, dunklen Tagen,
Zwischen Wollen und Entsagen.
Bis die Blüten sind verweht
Und der Zweig in Früchten steht,
Bis das Herz, der Kindheit satt,
Seine Ruhe hat
Und
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