Verliebt in die verrückte Welt - Betrachtungen, Gedichte, Erzählungen, Briefe
tun mit den Wirkungen, die seine Bücher verursachen? Nach meiner Erfahrung hat es damit sehr wenig zu tun. Auch nicht einmal jene Frage, die dem Dichter meistens die wichtigste ist, die Frage nach dem ästhetischen Wert seiner Arbeit, nach ihrem Gehalt an objektiver Schönheit, spielt in der Realität eine große Rolle. Es kann ein Buch ästhetisch und dichterisch wertlos sein und trotzdem ganz gewaltige Wirkungen tun. Scheinbar sind viele dieser Wirkungen vernünftig und berechenbar, waren vorauszusehen und wahrscheinlich. In Wahrheit aber ist auch hier das Geschehen in der Welt vollkommen irrational und gesetzlos.
Um noch einmal auf das für die Jugend so anziehende Thema des Selbstmordes zu kommen: Mehrmals habe ich Briefe von Lesern bekommen mit dem Bericht, sie seien gerade im Begriff gewesen, sich das Leben zu nehmen, da sei ihnen dies Buch in die Hände gefallen, habe sie befreit und aufgeklärt, und es gehe nun wieder aufwärts. Über das gleiche Buch aber, das so heilend wirken konnte, schrieb mir mit schwerer Anklage der Vater eines Selbstmörders: mein dreimal verfluchtes Buch habe zu denen gehört, die sein armer Sohn in seiner letzten Zeit noch auf dem Nachttisch habe liegen gehabt, und es allein sei verantwortlich zu machen für das Geschehene. Ich konnte zwar diesem empörten Vater erwidern, daß er sich die Verantwortlichkeit für seinen Sohn doch allzu leicht mache, wenn er sie auf ein Buch abschiebe, aber es dauerte doch eine gute Weile, bis ich jenen Vaterbrief »vergessen« konnte, und man sieht ja, was für ein Vergessen es war.
Über ein andres meiner Bücher schrieb mir in der Zeit, als Deutschland beinah den Höhepunkt seiner nationalen Fieberkurve erreicht hatte, eine Frau aus Berlin: ein solches Schandbuch wie das meine müsse verbrannt werden, sie werde dafür sorgen, und jede deutsche Mutter werde ihre Söhne vor diesem Buch zu behüten wissen. Die Frau hat, falls sie wirklich Söhne hatte, diese ohne Zweifel davor bewahrt, mein Schandbuch kennenzulernen, aber vor dem Verwüsten der halben Welt, vor dem Waten im Blut von waffenlosen Opfern und all dem andern hat sie sie nicht bewahrt. Merkwürdig aber war, daß beinah zur gleichen Zeit eine andre deutsche Frau mir über dasselbe Buch schrieb: wenn sie Söhne hätte, würde sie ihnen dieses Buch zu lesen geben, damit sie das Leben und die Liebe mit den Augen dieses Buches anzusehen lernen möchten. Ich aber hatte beim Schreiben meines Buches weder junge Leute verderben noch jungen Leuten Unterricht im Erleben geben wollen, an beides hatte ich auch nicht einen Augenblick gedacht.
Etwas ganz andres, woran vermutlich überhaupt kein Leser jemals denkt, kann dem Dichter zur Sorge und Plage werden, nämlich die Frage: Warum muß ich, allein meinen scheinbar ganz ursprünglichen Empfindungen zum Trotz, meine Gebilde, meine lieben Freuden- und Sorgenkinder, die Gespinste aus der besten Substanz meines Lebens, vor fremde Augen legen und zusehen, wie sie auf den Markt kommen, überschätzt und unterschätzt, belobt und bespien, geachtet oder mißbraucht werden? Warum kann ich sie nicht zurückbehalten, sie höchstens einem Freunde zeigen, ihre Veröffentlichung gar nicht oder erst nach meinem Tode zulassen? Ist es Ruhmsucht, Eitelkeit, Angriffslust oder unbewußte Lust am Angegriffenwerden, was mich dazu brachte, sie immer wieder, meine lieben Kinder, in die Welt hinaus zu schicken und all dem Mißverständnis, all dem Zufall, all der Roheit preiszugeben?
Das ist eine Frage, von der kein Künstler jemals ganz loskommt. Denn die Welt bezahlt uns ja zwar für unsre Gespinste, manchmal sogar über Gebühr, aber sie bezahlt uns ja nicht mit Leben, mit Seele, mit Glück, mit Substanz, sondern eben mit dem, was sie zu geben hat, mit Geld, mit Ehren, mit Aufnahme in die Liste der Prominenten. Ja, es sind die unwahrscheinlichsten Antworten der Welt auf die Arbeit des Künstlers möglich. Etwa diese: Ein Künstler arbeitet für ein Volk, das sein natürliches Wirkungsfeld und sein natürlicher Markt ist, das Volk aber läßt das ihm anvertraute Werk verkommen, es versagt dem Künstler Anerkennung sowohl wie Brot. Plötzlich nun erinnert ein ganz anderes, fremdes Volk sich dessen und gibt dem Enttäuschten das, was er mehr oder weniger verdient hat: Anerkennung und Brot. Im selben Augenblick jubelt das Volk, dem jene Arbeit zugedacht und angeboten war, dem Künstler heftig zu und freut sich darüber, daß ein aus ihm Hervorgegangener so ausgezeichnet
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