Verliebt in die verrückte Welt - Betrachtungen, Gedichte, Erzählungen, Briefe
Solang ihr das nicht leistet, bleibt die Welt dunkel und das Leben sinnlos.
Aus einem Brief vom Februar 1955
Einem Unzufriedenen
S ieh, ich verstehe ja dein Fluchen;
Aber die Welt bleibt wie sie war,
Dein Haß verändert sie um kein Haar.
Die Menschen sind eine verdorbene Brut,
Aber du selber – bist du denn gut?
Ich würde es mit der Liebe versuchen.
1902
E s gibt Millionen Wege zwischen Anpassung und Selbstbehauptung, zwischen Hingabe und Bewahrung, zwischen Herrschen und Dienen. Wir sollen, wie Sie es tun, oft daran denken und daran leiden, daß uns das Vollkommene unerreichbar ist, aber wir sollen niemals aufhören, mit uns und der Welt in einem höheren Sinne unzufrieden zu sein. Man muß auch das Menschentum, unsere eigene Unzulänglichkeit hinnehmen als etwas, das nur Bild und Gleichnis ist und auf Höheres deutet, als etwas, daran man leidet und mit dem man kämpft, das man aber im Grunde nicht ändern kann, vielleicht auch nicht ändern will. Ja sagen ist nicht sattes Zufriedensein, es ist noch Kampf, auch Trotz, auch Leid. – Ihr Leben ist reicher als das meine. Ich kann weder das Leben eines mondänen Bades mitleben noch Tanznächte und kann auch nicht mehr viel lesen. Ich habe aber, nach vielen Jahren des Entbehrens, seit zwei Jahren wieder ein Stückchen Land, da pflanze und baue ich allerlei Grünes und trage Wasser und sehe das Blühen und Welken, und in manchen Stunden sehe ich mich selber, sehe die ganze aktuelle und wichtigtuende Welt im großen Blühen und Welken als Stäubchen mittätig und mitleidend und sehe mein eigenes Leben, Michplagen, Leiden mit als Bildchen im großen Bilderbuch. Für Sie wird es andere Wege geben als für mich, aber das Ziel ist dasselbe. Von dort aus gesehen sind die Unterschiede zwischen Mann und Frau, Alt und Jung nicht groß, das Gemeinsame ist größer, und von da aus kann man auch die Feinde, die Gegner, die anders Fühlenden in die Einheit einbeziehen, also lieben.
Aus einem Brief vom 19. September 1933
Liebeslied
W o mag meine Heimat sein?
Meine Heimat ist klein,
Geht von Ort zu Ort,
Nimmt mein Herz mit sich fort,
Gibt mir Weh, gibt mir Ruh;
Meine Heimat bist du.
1921/22
Meiner ersten Liebe
D ort, wo mein Leben aus dem Kinderland
Auf ahnungsvoll beschrittenem Frühlingspfad
Zum ersten Mal ins heiße Leben trat
Und erster Leidenschaften Qual empfand,
Dort stehst im hellen Mädchenkleide du,
Trägst Heiderosen in der schmalen Hand
Und winkst mir unverstandene Grüße zu.
Vielleicht bist du schon alt, vielleicht schon tot.
Ich weiß es nicht. Doch weiß ich noch den Tag,
Da ich zum erstenmal am Wagenschlag
Dir schüchtern meine armen Rosen bot.
Nun bring ich einen späten Strauß dir dar –
Und bin nicht minder schüchtern, scheu und rot,
Als ich es einst mit meinen Rosen war.
1903
I ch glaube, man kann im Leben eine ganz genaue Grenze ziehen zwischen Jugend und Alter. Die Jugend hört auf mit dem Egoismus, das Alter beginnt mit dem Leben für andere. Ich meine es so: junge Leute haben viel Genuß und viel Leiden von ihrem Leben, weil sie es nur für sich allein leben. Da ist jeder Wunsch und Einfall wichtig, da wird jede Freude ausgekostet, aber auch jedes Leid, und mancher, der seine Wünsche nicht erfüllbar sieht, wirft gleich das ganze Leben weg. Das ist jugendlich. Für die meisten Menschen aber kommt eine Zeit, wo das anders wird, wo sie mehr für andere leben, keineswegs aus Tugend, sondern ganz natürlich. Bei den meisten bringt es die Familie. Man denkt weniger an sich selber und seine Wünsche, wenn man Kinder hat. Andere verlieren den Egoismus an ein Amt, an die Politik, an die Kunst oder Wissenschaft. Die Jugend will spielen, das Alter arbeiten. Es heiratet keiner, damit er Kinder kriege, aber wenn er Kinder kriegt, so ändern sie ihn, und schließlich sieht er, daß alles doch nur für sie geschehen ist. Das hängt damit zusammen, daß die Jugend zwar gern vom Tode redet, aber doch nie an ihn denkt. Bei den Alten ist es umgekehrt. Die Jungen glauben ewig zu leben und können darum alle Wünsche und Gedanken auf sich selbst stellen. Die Alten haben schon gemerkt, daß irgendwo ein Ende ist und daß alles, was einer für sich allein hat und tut, am Ende in ein Loch fällt und für nichts war. Darum braucht er eine andere Ewigkeit und den Glauben, er arbeite nicht bloß für die Würmer. Dafür sind Frau und Kind, Geschäft und Amt und Vaterland, damit man wisse, für wen denn das tägliche Schinden und Plagen geschehe .
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