Verliebt in eine Diebin - Roman
Licht ein. Überall Schonbezüge, kein Staub. Nadine hatte gründliche Arbeit geleistet und der Luftreiniger erledigte den Rest. Als Tilda den Schonbezug des nächstbesten Möbelstücks entfernte, kam ein Lehnstuhl zum Vorschein, bemalt mit gewundenen grellgrünen, violetten und blauen Schlangen, die nicht nur das Holzgestell, sondern auch die Polsterung verzierten.
Glühende kleine Augen zwinkerten ihr zu, und gespaltene Zungen flackerten. Wider Willen entzückt grinste sie zurück. Langsam ging sie von einem Schonbezug zum anderen und spähte darunter, um ihre Prä-Scarlet-Werke zu betrachten - einen Tisch voller roter Hunde mit Schlappohren, eine Kommode, über die hellgrüne Schnecken krochen. Auf mehreren Stühlen, die nicht zusammenpassten, tummelten sich gelbe und orangefarbene Schmetterlinge und himmelten Tilda mit hellblauen Augen an. Spot folgte ihr geduldig, während sie die restlichen Malereien inspizierte. Dabei entdeckte sie ein Tier, das mit den Wimpern zu klimpern schien und sie beinahe zum Lachen brachte. Kindliche Spielereien, dachte sie lächelnd.
Dann erinnerte sie sich daran, wie ihr Vater die Möbel entdeckt hatte, als sie sechzehn gewesen war. »Zehn Jahre lang habe ich dir beigebracht zu malen. Und du machst so was ?«
» Schund«, flüsterte sie und deckte alles wieder zu.
An der hinteren Wand des Lagers fand sie ihr letztes Werk - von Andrew »Lotterbett« genannt, der Rahmen über und über mit Laubblättern bemalt -, das dank Nadine und Ethan ordentlich aufgestellt war. An seinem Kopfende lag die zusammengefaltete Steppdecke, die Gwen extra dafür genäht hatte. Spot sprang auf die Matratze, setzte sich ans Fußende und erschauerte im Luftzug der Klimaanlage. Besänftigend tätschelte ihn Tilda und begutachtete, was sie vor den Scarletund Matilda-Veronica-Phasen zu Stande gebracht hatte. Über das Kopfteil breitete der Baum der Erkenntnis seine Äste aus, unter dessen Zweigen ein nackter blonder Adam eine nackte dunkelhaarige Eva angrinste. Wie kleine Fragezeichen standen ihr die kurzen Locken vom Kopf ab. Hinter den beiden tummelten sich zwischen den gemalten Büschen Tiere, violette Schlangen und blaue Affen und orangerote Flamingos wie auf den anderen Möbeln. Und alle zwinkerten den ersten menschlichen Gestalten zu, die Tilda nicht von alten Meistern
kopiert hatte. In wilder, unbändiger Fülle widersprachen sie sämtlichen Regeln der Kunst - keine richtige Malerei.
So könnte ich jetzt nicht mehr malen, überlegte sie, weil ich zu viel weiß. Wie beim Liebesakt: Sobald man merkt, wie viel man zu verlieren hat, fühlt man sich nicht mehr wirklich frei.
Seufzend lehnte sie die Kühe an den Bettrahmen, neben den Baum der Erkenntnis, dachte an die anderen fünf Scarlets, hinter denen Mason her war, und blickte den Tatsachen ins Auge. Das Eine wusste sie, seit Gwennie die Bombe hatte platzen lassen: Erst wenn sie all diese Bilder eingesammelt hatte, würde ihr keine Gefahr mehr drohen.
»Oh, verdammt«, murmelte sie. Spot schob seine Nase unter ihre Hand, stupste sie an und störte sie in ihrer Konzentration. »Morgen werde ich ein Zuhause für dich finden«, versprach sie und streichelte ihn.
Sie zuckte zusammen, als sie Eve hinter sich fragen hörte: »Warum behalten wir ihn nicht?«
»Du hast mich zu Tode erschreckt«, schimpfte Tilda und packte Spot instinktiv.
»Tut mir Leid.« Eve bahnte sich zwischen den Schonbezügen einen Weg, setzte sich ans andere Ende des Betts, und ihr violetter Pyjama harmonierte sehr hübsch mit dem blattgrünen Fußteil. Wie Tilda interessiert feststellte, hielt ihre Schwester einen großen Schokoriegel in der Hand. »Nadine will den Hund nicht mehr hergeben«, fuhr sie fort und wickelte die Mandelschokolade aus der Folie, brach die Hälfte ab und warf sie Tilda zu. »Übrigens hat sie ihn Steve getauft.«
Tilda schob den Dackel beiseite und ergriff den Riegel. »Steve?«, wiederholte sie und musterte den kleinen Hund mit den Knopfaugen und der spitzen Nase, der begierig die Schokolade fixierte.
»Eigentlich müsste er satt sein. Nadine hat sündteures
Hundefutter und vier verschiedene Sorten Hundekekse gekauft.«
»Ja, aber - Steve ?«
»Nadine und Ethan und Burton haben wieder mal ›Fargo‹ angesehen. Nun bilden sie sich ein, er würde wie Steve Buscemi aussehen.«
»Wirklich?« Tilda brach eine Ecke von ihrer Schokolade ab und blinzelte den Dackel an. »Finde ich nicht...« Sie biss in die Schokolade, spürte den wächsernen süßen
Weitere Kostenlose Bücher