Verliebt in eine Gottin
hasse diese Welt«, erklärte sie. »Nichts geht hier seinen richtigen Gang.«
»Du bist am falschen Ort«, meinte Sam sanft. »Und in der falschen Zeit.«
Sie blickte ihn erschrocken an.
»Ich habe in diesen fünf Tagen viel gelernt«, fuhr Sam fort. »Wir sind hier keine Götter. Wenn wir bleiben wollen, müssen
wir uns an diese Welt anpassen, uns den heutigen Sitten beugen. Wir können unsere Welt nicht zurückholen, Kammani. Sie ist vergangen. Sie wurde vor langer Zeit begraben.«
»Meine Göttin wird wieder herrschen«, versetzte Mina scharf und kam näher. »Wir werden ihr Wort morgen bei dem Meeting ›Der Göttin Wege‹ zu den Menschen bringen, und sie werden sie lieben.« Herausfordernd streckte sie das Kinn vor. »Und am Donnerstag hält sie im Radiosender Kanal 4 einen Vortrag. Alle werden sie lieben. Sie wird ihre eigene Sendung haben, mit der sie Tausende erreicht, die alle zu ihr kommen werden.«
Diese Worte waren Balsam auf Kammanis Seele – sie werden zu mir kommen -, Sam jedoch ignorierte Mina und meinte zu Kammani: »Es gab einmal eine Zeit und einen Ort, da kamen die Menschen zu dir, und du hattest keine Plakate oder Vorträge nötig. Wenn du all das tun musst, um die Menschen zu erreichen, dann zeigt das, dass sie nicht deine Gefolgsleute sind.«
Kammani legte sich die Hand an die Stirn. Schon wieder Kopfschmerzen, vielleicht eine Migräne, wie im Fernsehen. Sterbliche verspüren Schmerzen, nicht aber Götter , dachte sie und versuchte, den Schmerz zu ignorieren.
»Versuch nicht, zu sein, was du einst warst. Nicht hier«, riet Sam. »Kehr wieder in den Schlaf zurück oder gehe zurück nach Kamesh, aber versuch nicht, hier eine Göttin zu sein. Du wirst scheitern. Und du wirst dabei in dieser Welt großen Schaden anrichten.«
» Verräter! «, zischte Mina, doch Sam wandte sich nur ab und ging davon.
»BLEIB!«, befahl Kammani, doch er ging weiter. » Wohin gehst du? «, rief sie ihm hinterher. Sie wusste, wohin. Sharrat .
Wenn es ihr gelang, die Drei in den Tempel zurückzuholen, würde Sam Sharrat folgen, und sie konnte den Hurensohn noch einmal opfern. Dann würden die Menschen ihr wieder folgen, denn sie wären durch sein Blut gerettet …
»Sei nicht traurig, meine Göttin«, sagte Mina und kam näher.
»Ich bin dir treu ergeben, und die Worthams sind stark, und wir werden an deiner Seite bleiben, bis auch die anderen lernen …«
Kammani hob den Kopf. Hier stand jemand, auf den sich ihr Ärger richten konnte. »Warum müssen die anderen lernen, Mina?«
Mina schaute verwirrt.
»Samu hat gefragt, wozu wir Plakate und Vorträge brauchen. Wenn Millionen von Menschen meinen Namen gerufen haben, warum sind sie nicht hier, um mich anzubeten?«
Minas Augen wichen Kammanis Blick aus. Du dumme, kleine Kröte , dachte Kammani.
»KOMM ZU MIR«, befahl Kammani, und Mina kam näher, bis sie vor ihr stand. »WO SIND DIEJENIGEN, DIE MICH GERUFEN HABEN?«
»Na ja.« Mina holte tief Luft. »Ich habe mich umgesehen, weil ich zuerst dachte, sie hätten nur den Weg zum Tempel nicht gefunden. Und als ich keinen von ihnen finden konnte, habe ich unter deinem Namen gegoogelt.«
Kammani runzelte verwirrt die Stirn, momentan abgelenkt von ihrem Zorn. »Gegoogelt?«
»Das heißt …« Mina überlegte. »Na ja, also, so kann man zum Beispiel herausfinden, wonach die Leute suchen. Also habe ich unter Kammani gegoogelt. Und da gibt es einen Ort in Indien, der so heißt, und einen Song bei YouTube und ein paar Einträge in anderen Schriftzeichen, die ich nicht lesen konnte, aber da war nichts über … dich.« Wieder brach sie unsicher ab.
Kammani fühlte, wie ihr Herz schmerzhaft schlug. »Also sucht niemand nach mir«, stellte sie fest. »Wo sind all die Menschen, die meinen Namen gerufen haben?«
Mina sah betreten drein.
»MINA.«
»Na ja …« Mina schluckte. »Weil ich unter Kammani nichts gefunden habe, habe ich es mit Kami versucht. Meine Mutter
sagt, das war auch dein Name, einer, den deine alten Anbeter verwendet haben, und ich finde, der ist sowieso viel besser als Kammani, deswegen habe ich auf die Plakate auch Kami gedruckt …«
» Mina .«
Mina lächelte schwächlich. »Wusstest du, dass das in Japanisch ›Gottheit‹ bedeutet?«
»Also hat auch niemand nach Kami gesucht?«, fragte Kammani und fühlte sich seltsam hohl, als breite sich eine Wüste in ihr aus.
»Doch, haben sie«, entgegnete Mina. »Irgendwie ja. Die erste Suche auf der Seite war eine Suche nach Kami. Aber es ging
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