Verliebt in eine Gottin
dieses grässliche Tonikum konzentrieren.«
Sie goss die Basisflüssigkeit in ein Keramikgefäß, das sie hinten in Grandmas Lagerraum gefunden hatte. Es war gerundet, fast kugelförmig, wie eine Urne, und mit weiblichen Figuren verziert, die jeweils eine Opfergabe über dem Kopf balancierten. Sie waren graziös und doch voller Kraft, und Abby gefiel der Gedanke, dass es vielleicht die fünf Übriggebliebenen von den sieben waren. Nun ja, eigentlich sechs, aber Mina zählte nicht. Abby starrte in das urnenartig geformte Gefäß hinein, während sie die dickliche Mixtur umrührte, und dann schloss sie, einem Impuls folgend, die Augen.
»Was denkst du?« Gen kam näher.
»Hunger. Verlangen. Süßes Entzücken als innerstes Herz von allem.« Rein instinktiv ergriff sie den Honigtopf, fuhr mit dem Holzlöffel darin herum und verrührte ihn dann in der Mixtur.
Sofort nahm sie eine satte goldene Farbe an, etwa wie mit Honig bestrichener Bernstein, und es stieg ein warmer, einladender Duft auf. Sie kostete ein wenig davon, ließ es sich auf der Zunge zergehen, aber es geschah nichts. Ein Anfang, Hunger, und weiter nichts.
»Oh Gott, sieh dir das nur an!«, rief Gen aus.
Abby schloss wieder die Augen und lauschte den Stimmen in ihrem Kopf. Hunger. Chaos. Sie sah Daisy vor sich, das blonde Haar jetzt tiefrot, die Leidenschaft, die sie vorantrieb, das Chaos, das ihr folgte, das pikante Gewürz, das sie ausmachte. Zimt. Sie nahm von den Zimtstangen, ließ eine, zwei, drei davon in die Mixtur gleiten.
Das Gebräu reagierte mit einem Lichtblitz und wurde tiefrot, die Farbe der Wildblumen, die im Hinterhof erblüht waren. Der Duft, der nun aus dem Gefäß aufstieg, hatte sich verändert, etwas wilder, fast wie ein Lied mit einem Tempowechsel.
»Heiliger Strohsack!«, rief Gen aus. »Wie hast du das nur gemacht?«
Abby tauchte einen silbernen Löffel in den Sud und kostete, dann bot sie ihn Gen an.
»Sehr nahe dran«, meinte Gen ehrfurchtsvoll. »Aber noch nicht ganz dasselbe.«
»Nein, noch nicht ganz. Aber ich weiß jetzt, worauf es hinausläuft.« Sie brauchte Shar. Sie brauchte die Vollendung. Etwas, um es zu Ende zu bringen. Sie schloss wieder die Augen, und der Geschmack von Anis kam ihr in den Sinn, schwarz und zähflüssig, stark und ganz unverwechselbar, und es fühlte sich an, als sei es das Richtige. Es machte nichts, dass Kammanis Tonikum nie nach Anis geschmeckt hatte – sie wusste einfach, dass es das war, was sie brauchte.
»Reich mir doch bitte den Anissamen herüber, ja?«
Gen übergab ihr die kleine Phiole, und Abby öffnete sie und ließ drei winzige Samenkörner in die kräftige, rote Mixtur fallen, dann noch zwei weitere für Bun und Gen. Es puffte, und die Farbe wandelte sich zu Lapislazuli, einem klaren und schimmernden Blau, und der aufsteigende Duft war betörend, eine kraftvolle Kombination aller Geschmäcker und Düfte, die sich zu einer wunderbaren Mischung verbanden, anstatt sich gegenseitig zu stören. Mandel und Minze, Honig und Zimt, Anis und Rosenwasser. Wieder tauchte Abby den silbernen Löffel ein und kostete eine Löffelspitze voll, dann wartete sie auf die plötzliche Gefühlswoge, die nun kommen musste.
Doch sie kam nicht. Die Mixtur schmeckte nach Versuchung, spielte mit ihren Sinnen, aber da war etwas falsch, etwas, das fehlte, und sie hätte am liebsten aufgeheult vor Frustration. Sie war sich so sicher gewesen, dass sie endlich verstanden hatte, welche Zutaten nötig waren. Nicht die Geschmacksrichtungen, sondern die Essenzen ihrer Kräfte.
Kopfschüttelnd wandte sie sich Gen zu. »Es stimmt immer noch nicht. Und ich war mir so sicher. Wir haben hier nichts
als ein wunderbar blaues Getränk, das göttlich schmeckt, aber nichts bewirkt.« Ihr war nach Weinen zumute. »Was fehlt da noch?«
»Tja, also, ich würde Hefe dazutun«, meinte Gen. »Hefe hat mit Wachsen und Gesundheit zu tun, und … Weißt du, was? Du bist wirklich toll – du wirst es herausfinden. Ich muss zum Unterricht, aber wenn ich zurückkomme, erledige ich das Backen für morgen, und du kannst dich ganz auf das Tonikum konzentrieren. Ich muss noch an meinen Croissants arbeiten.«
Abby gelang ein Lächeln. »Du bist ein Juwel«, erwiderte sie.
Dann war sie in der Küche allein und starrte in das wunderschöne Blau der Mixtur hinein. Was zum Teufel fehlte da noch? Sie war sich so sicher gewesen, dass sie es endlich herausgefunden hatte.
Nach einer Weile spürte sie, dass sie nicht mehr allein war. Jemand
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