Verliebt in eine Gottin
rief
ihr zu: »Shar …«, und Shar erhob sich, so machtlos wie immer. »Ich muss jetzt gehen, Leesa …«
»Ich auch«, erwiderte Leesa, und ihre Stimme klang unsicher. »Ich muss meine Arbeit zu Ende bringen.«
»Wirklich?« Shar wandte sich um und beobachtete sie, wie sie an Freunden vorbei, die sie vergeblich zum Weiterfeiern zu sich riefen, geradewegs zur Eingangstür ging wie eine Schlafwandlerin.
»Löbliche Haltung«, meinte Ray, der sie ebenfalls beobachtete. »Sie sollte wirklich nicht …«
»Geh nach Hause, Ray«, empfahl ihm Shar.
»Ich muss jetzt nach Hause.« Ray erhob sich. »Ich muss noch Arbeiten korrigieren.« Wie benebelt schüttelte er den Kopf, dann wandte er sich ab und ging.
»Ich brauche dich an der Kasse, Shar«, sagte Abby. »Daisy ist so unkonzentriert, dass sie den Leuten zu viel berechnet.« Sie wartete einen Augenblick auf Antwort. »Shar?«
»Sicher«, erwiderte Shar und starrte zwei Personen hinterher, deren freiem Willen sie mit ziemlicher Sicherheit gerade Gewalt angetan hatte.
Abby kehrte in die Küche zurück, und Shar dachte bei sich: Das ist nicht gut , und folgte ihr.
Abby und Daisy waren beide in der Küche und zu ihrer Überraschung auch Sam, der einen letzten Keks verspeiste.
»Hör mal, das alles muss aufhören«, wandte sie sich an ihn. »Das ist ganz falsch. Wir besitzen Kräfte, die wir nicht verstehen, und damit bewirken wir, dass die Leute alles Mögliche gegen ihren Willen tun. Bestelle also Kammani bitte, dass sie mit vier Priesterinnen auskommen muss, weil wir drei nicht mehr kommen.«
Sie blickte die anderen um Bestätigung heischend an, und Abby sagte: »Da hast du recht«, und Daisy setzte grollend hinzu: »Verdammt recht.«
Sam wirkte unbeeindruckt. »Kammani wird sich nicht zufriedengeben. Sie braucht die Drei.«
»Wozu?«, fragte Shar ärgerlich. »Sie kriegt doch die Fruchtbarkeit, die Geburt, das Leben und den Tod. Wozu braucht sie uns da noch?«
»Ihr seid die Mächtigsten«, antwortete Sam.
»Sex soll mächtiger als Leben oder Tod sein?«, wunderte sich Shar. »Das glaube ich nicht.«
»Die anderen sind Sterbliche«, erklärte Sam geduldig, als spräche er zu einem kleinen Kind. »Ihr aber seid Göttinnen.«
Abby hörte auf, Teig zu kneten, und Daisy machte große Augen.
Shar sah ihn an. »Wir – Göttinnen.« Gleich platzt mir der Kopf .
Abby nickte. »Das würde eine Menge erklären.«
»Ich würde gern wieder zu meiner Betrüger-Theorie zurückkehren«, meinte Daisy und wirkte etwas desorientiert.
Abby sah sie an. »Du hast einen Klick-Stift.«
»Göttinnen benützen doch keine Klick-Stifte«, entgegnete Daisy zornig.
Sam wandte sich der Tür zu. »Ich muss jetzt zu Kammani gehen«, sagte er zu Shar. »Danach kehre ich mit Wolfie zu deinem Tempel zurück.«
»Gut, gut«, meinte Shar und vernahm ihre eigene Stimme wie aus der Ferne. Dann war er fort, und sie und Abby und Daisy waren für einen Augenblick allein. »Tja. Wir sind also Göttinnen.«
»Was bedeutet das genau?«, fragte Daisy und setzte sich.
Aus der Gaststube drang Lärm, und Abby meinte: »In diesem Moment bedeutet es, dass eine von euch sich jetzt an die Kasse setzt.«
»Das wäre wohl ich«, erwiderte Shar und setzte sich wie betäubt in Bewegung, nahm ihren Platz hinter der Kasse ein und Geld von Gästen entgegen, die alle nach den magischen Herzenswunsch-Keksen verlangten.
Ich bin eine Göttin .
Sie hatte ihr Leben verändern wollen, aber das hier war einfach lächerlich.
»Das kommt mir einfach nicht plausibel vor«, sagte sie laut zu einer Frau, die nicht-magische Kekse zum Mitnehmen verlangte.
»Zimtplätzchen sind nicht plausibel?«, wunderte sich die Frau.
»Neun-fünfundneunzig«, erwiderte Shar und nahm das Geld entgegen.
Ich bin eine Göttin , dachte sie und ließ die Registrierkasse klingeln.
Daisy saß auf einem Stuhl neben dem Ladentisch, und ihr Körper summte vor Musik. Noah improvisierte auf seiner Gitarre gemeinsam mit seinem Kumpel einen weiteren Blues. Der Rhythmus versetzte ihren ganzen Körper in Schwingungen, von Kopf bis Fuß, und sie fühlte sich erfüllt von Kraft und Macht wie eine …
Wie eine Göttin .
Sie verscheuchte den Gedanken – einfach lächerlich – und beobachtete Noah, dem eine dunkle Haarlocke über die Stirn fiel, während er seiner Gitarre mit flinken Fingern und routinierter Lässigkeit wunderschöne Bluesklänge entlockte. An einem gewöhnlichen Tag hätte sie ihre Anwandlung von Verliebtsein mit den
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