Verliebt in eine Kidnapperin?
Jeremy trug noch seinen Arztkittel. „Ja.“
„Gott sei Dank. Ich wollte mein Baby untersuchen lassen, aber …“
„Ich bin kein Kinderarzt, sondern Orthopäde“, unterbrach Jeremy sie. „Aber die Ambulanz ist noch geöffnet. Da wird sich bestimmt jemand um Ihr Baby kümmern.“
Nervös schaute sie sich um. „Ich kann nicht warten. Und ich mache mir Sorgen um ihn. Ich möchte nur sichergehen, dass ihm nichts fehlt.“
„Was ist denn das Problem? Fieber oder sonstige Symptome?“
„Eigentlich gar nichts.“ Sie betrachtete den kleinen Kerl in ihrem Arm. Dann schaute sie erneut Jeremy an. „Ich möchte nur wissen, ob er gesund ist.“
Seltsam, dachte er. Dennoch trat er einen Schritt näher, um einen Blick auf das Baby zu werfen. Der Junge mochte etwa zwei Monate alt sein. Seine Augen waren hellwach, er hatte pausbäckige Wangen und runde Arme. Nichts deutete auf eine Krankheit oder eine Vernachlässigung hin.
„Wie schon gesagt, ich bin kein Kinderarzt“, wiederholte Jeremy. „Und ohne eine gründliche Untersuchung kann man ohnehin nichts feststellen. Aber auf mich macht er nicht den Eindruck, als fehlte ihm etwas.“
Sie seufzte erleichtert. „Gott sei Dank.“
Warum war sie bloß so nervös?
„Die ambulante Behandlung ist übrigens kostenlos …“
„Danke, aber das ist nicht das Problem. Ich habe schon eine Stunde im Wartezimmer gesessen, und es waren immer noch einige Patienten vor mir an der Reihe. Und jetzt muss ich unbedingt nach Hause.“
Wahrscheinlich zu ihrem Mann, mutmaßte er. Was ihn, aus welchem Grund auch immer, ein wenig enttäuschte.
Verstohlen musterte er die Frau. Vielleicht konnte es nicht schaden, das Baby auf Verletzungen und Prellungen zu untersuchen.
Er streichelte die Wange des Kleinen, der sofort nach seinem Finger griff und ihn festhielt. Sein Herz schlug schneller. Was war denn das nun für eine Reaktion?
Die Frau blickte auf ihre Armbanduhr. „Entschuldigen Sie, aber ich muss wirklich los.“
Sie dankte ihm, dass er sich Zeit genommen hatte, drehte sich um und eilte zur Straße.
Wie angewurzelt blieb Jeremy auf dem Parkplatz stehen und sah ihr nach, bis sie die Bushaltestelle erreichte.
Steckte sie in irgendwelchen Schwierigkeiten? Hatte sie möglicherweise einen gewalttätigen Freund oder Ehemann?
War sie – oder das Baby – geschlagen worden?
Vielleicht hätte er sie doch dazu überreden sollen, die Ambulanz aufzusuchen.
Mit einem Blick auf seine Armbanduhr stellte Jeremy fest, dass er noch viel Zeit hatte. Er drehte sich um und ging zurück ins Krankenhaus. Millie Arden, die mütterliche Empfangsdame mit den grauen Haaren und roten Wangen, lächelte ihm zu. Er bat sie um eine Auskunft.
„Natürlich, Doktor. Worum geht es?“
„Haben Sie vielleicht eine Mutter etwa Mitte zwanzig gesehen, die vor ein paar Minuten hier vorbeigekommen ist? Sie hatte hellbraunes Haar und trug Jeans und eine pinkfarbene Jacke. Ihr Baby hatte sie in einen blauen Schal gewickelt.“
„Aber ja. Sie heißt …“, Millie fuhr mit dem Finger die Namen auf der Patientenliste entlang, „… Kirsten Allen.“
Ob das ihr wirklicher Name war?
„War sie schon mal hier?“, wollte er wissen.
„Moment mal.“ Millie schaute in ihren Computer. Nach einer kurzen Suche schüttelte sie den Kopf. „Sieht nicht so aus.“
Jeremy sollte die Sache auf sich beruhen lassen, aber irgendwie kam er nicht davon los. Kirsten Allen erinnerte ihn zu sehr an seinen Traum.
Sie hatte sogar ein Baby …
Natürlich war das nur ein Zufall, eine Laune des Schicksals.
Aber während der kurzen Unterhaltung mit ihr war seine melancholische Stimmung wie weggeweht gewesen. Und er fühlte sich noch immer ganz beschwingt.
Kirsten Allen stieg aus dem Bus und lief die paar Blocks bis zur Lone Star Lane. Den kleinen Anthony hielt sie fest an sich gedrückt. Hoffentlich war sie noch vor Max zu Hause. Ihr Bruder musste nicht unbedingt mitbekommen, dass sie mit seinem Sohn im Krankenhaus gewesen war.
Er hätte es bestimmt als Einmischung in seine Angelegenheiten empfunden. Womit er nicht ganz unrecht hatte. Abgesehen davon, dass ihre Beziehung immer schon problematisch gewesen war – er fühlte sich von der älteren Schwester bevormundet –, hätte sie nicht ohne sein Wissen mit dem Baby in die Klinik fahren dürfen.
Aber Kirsten wollte unbedingt auf Nummer sicher gehen. Sie musste wissen, ob dem Kleinen wirklich nichts fehlte. Auf Anthonys Mutter war in dieser Beziehung schließlich kein
Weitere Kostenlose Bücher