Verliebt in einen Fremden
sich im Geiste bereits ein Bild machte. »Ich nehme Ihren Auftrag natürlich gerne an.«
»Aber wir haben doch noch gar nicht über Ihr Honorar oder andere Details gesprochen!«, rief er.
»Das ist nicht so wichtig. Für mich steht einfach fest, dass ich es machen möchte.« Sie lächelte über sein erstauntes Gesicht, das sich daraufhin in winzige Lachfältchen legte. Sie war ihm von einem Freund empfohlen worden, für den sie ein Restaurant in Peachtree Plaza gestaltet hatte. Rayburn Prescott war von ihren Fähigkeiten überzeugt. Als sie schlieÃlich ihr Honorar verhandelten, war sie verblüfft über
die Höhe der Summe. Er stellte ihr ein nahezu unbegrenztes Budget für die Renovierung zur Verfügung. Ganz offensichtlich sah er nicht auf den Pfennig. Er bestand allerdings darauf, dass sie während der Arbeiten in Bridal Wreath wohnte, und versprach, sich um alles Weitere zu kümmern. Sie hatten einen Ankunftstermin festgesetzt, und jetzt war sie hier und stand vor dem Hauptportal. Die Handtasche unter den Arm geklemmt, wartete sie darauf, dass jemand auf ihr Klingeln reagierte. Bei genauer Betrachtung bemerkte sie die abblätternde Farbe, die dunkel angelaufenen Messingbeschläge und die losen Türbretter. Wenn es im Innern genauso schlimm aussähe, hätte sie noch eine Menge Arbeit vor sich.
Heimlich musste Camille lächeln. Immerhin bedeutete die Arbeit ihr alles. Ihr Leben drehte sich um die Karriere, sehr zum Leidwesen ihrer Mutter und enger Freundinnen, die inzwischen verheiratet waren und Kinder hatten. Martha beschwor sie des Ãfteren, doch einmal mit den jungen Männern auszugehen, mit denen Camille dienstlich zu tun hatte. Sie blieb jedoch immun gegen sämtliche Flirtversuche, und Martha Jameson war zunehmend frustriert über das fehlende Interesse ihrer Tochter am anderen Geschlecht.
Dieser Umstand bedrückte Camille zwar, sie brachte es aber nicht über sich, ihrer Mutter den wahren Grund für ihre Beziehungsunlust einzugestehen. Sie konnte doch nicht einfach sagen: »Mutter, ich habe mich einmal mit einem Mann eingelassen, und nachher fühlte ich mich verletzt und missbraucht. Das passiert mir nie wieder!« So etwas erzählte man einer Mutter einfach nicht. Camille atmete tief ein, wie um die schmerzvolle Erinnerung auszublenden, als die Tür geöffnet wurde. Sie blickte in ein sympathisch grinsendes Gesicht.
»Guten Tag. Ich bin Camille Jameson.« Lächelnd schüttelte sie ihre dunkel gewellten Haare, auf die das Sonnenlicht schimmernde Reflexe zauberte.
»Hallo, Miss Jameson«, hieà der Mann sie willkommen. »Mr. Prescott erwartet sie bereits. Er ist so aufgeregt wie ein Schuljunge vor dem ersten Tanz. Bin ich froh, dass Sie sicher hierher gefunden haben. Er hat sich schon Sorgen gemacht, dass eine junge Dame wie Sie den ganzen Weg von Atlanta allein fahren musste.«
»Das war völlig problemlos. Ich freue mich schon darauf, Mr. Prescott wiederzusehen.« Der Mann trat beiseite, und sie betrat die Eingangshalle. Beinahe ehrfurchtsvoll schaute sie sich um. Es war genau so wie in ihrer Vorstellung!
»Mein Name ist Simon Mitchell, Miss Jameson. Wenn Sie etwas brauchen, wenden Sie sich ruhig an mich«, fuhr der Mann fort, womit er sie aus ihren intensiven Betrachtungen riss.
»Danke, Mr. Mitchell.« Sie strahlte aufrichtig.
»Nennen Sie mich ruhig Simon. Bitte, nehmen Sie doch Platz. Inzwischen hole ich Mr. Prescott. Vermutlich ist er drauÃen und gieÃt seine Pflanzen.«
»Lassen Sie sich Zeit. Es macht mir nichts aus zu warten.« Nach einem kurzen Nicken verschwand er durch die ausgedehnte Halle im hinteren Teil des Hauses. Camille hätte zu gern einen Blick in die Räume geworfen, die rechts und links des langen Ganges abzweigten, fand aber, dass sie warten sollte, bis ihr Gastgeber und vorübergehender Chef sie überall herumführte. Südstaatler wie Rayburn Prescott legten groÃen Wert auf Stil und Etikette.
Sie setzte sich auf einen Stuhl in der Halle und nahm die damenhafte Haltung an, die Martha ihr förmlich eingeimpft hatte: Rücken gerade, Knie zusammen, Hände locker im
SchoÃ. Unvermittelt wünschte sie sich ein aparteres Aussehen. Sie war mit dunklem, lockigem Haar geschlagen, das sie mittellang trug und an feuchten Tagen zu einem Knoten frisierte, da es sich sonst ungebändigt um ihren Kopf kringelte. Dazu diese frische
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