Verliebt in einen Gentleman
war eine lustige Begebenheit mit einer Frau, die in letzter Sekunde gemerkt hat, dass sie im falschen Flieger saß...
Aber wahrscheinlich wird das meine Eltern nicht so sehr interessieren.
„Nö“, sage ich einfach, lehne meine Stirn gegen das kühle Fenster und sehe weiter träumerisch in die vorbeiziehende Landschaft.
Nach etwa einer Stunde sind wir zu Hause. Meine Mutter hat das Haus so hübsch geschmückt. In den Blumenkästen leuchten uns die Lichterketten entgegen, die sie an die Zeitschaltuhr angeschlossen hat. An der Haustür hängt ein dicker Tannenkranz mit roten Kugeln.
Mein Vater trägt den Koffer hoch in mein altes Schlafzimmer. Auch das kommt mir irgendwie fremd vor. Ich merke, dass ich mich in der Zeit in England weiter entwickelt habe. Bin ich wirklich die Lea, der dieser abgeschabte Steiff-Teddy mal gehört hat? Ist das mein Filmplakat von „Stolz und Vorurteil“? Welcher Teufel hat mich geritten, das aufzuhängen? So toll war der Film doch gar nicht gewesen. Merkwürdig. Normalerweise bin ich nach einer langen Abwesenheit, zum Beispiel nach meiner Zeit in der Türkei oder Lancaster, sofort in diesem Zimmer „zu Hause“ gewesen. Jetzt kommt es mir so vor, als gehöre das alles mir gar nicht. Ob es daher kommt, dass ich unter Ethans Einfluss tatsächlich endlich erwachsen geworden bin? Fühle ich mich deshalb so losgelöst von allem, das einmal zu der kindlichen Lea gehörte?
Mein Vater stellt den Koffer ab. „Willkommen daheim, mein Liebling“, sagt er.
„Mama sagt, es gibt in einer halben Stunde Abendbrot.“
Ich nicke.
Er verlässt das Zimmer und zieht die Tür sanft hinter sich zu.
Ich werfe mich auf das Bett und starre an die Decke. Dort hängt immer noch das Schmetterlingsmobile, das ich in der Grundschule aus Tonpapier gebastelt habe, und dreht sich leicht über der Thermik des Heizkörpers. Einem Schmetterling ist bereits vor Jahren ein Flügel abgefallen. Ich hatte für ihn sogar einen eigenen Namen, „Halbi“, oder so ähnlich und habe mir Geschichten überlegt, wie es zu dem Unfall gekommen sei, und wie „Halbi“ wieder gesund wird.
Ich springe spontan auf, reiße das Mobile von der Decke und werfe es in den Papierkorb.
Ohne Ethan fühle ich mich auch wie „Halbi“. Was er wohl jetzt gerade macht? Ob er mich sehr vermisst? So sehr, wie ich ihn?
Ich habe mich daran gewöhnt, dass alles in mir, alle meine Gedanken, sich nur um ihn und sein Wohl kreisen, dass ich mir wie amputiert vorkomme.
Ob ich ihn eben mal anrufen sollte? Er wird sicher wissen wollen, dass ich gut angekommen bin. Seine Handynummer kann ich mittlerweile auswendig. Ich könnte ihm natürlich eine SMS schreiben, aber ich möchte ganz dringend seine Stimme hören, dunkel und samtig, wie sie in meine Ohrmuschel spricht.
Also stehe ich auf und flitze herunter, um mir das Telefon zu holen.
Meine Mutter, die gerade den Tisch deckt, lächelt mir warm zu.
„Musst du telefonieren? Mach nicht zu lange, gleich gibt es Essen.“
„Ja, ja“, murmele ich und gehe wieder hinauf in mein Zimmer.
Das Telefon klingelt erst eine ganze Weile und ich habe es schon fast aufgegeben, als Ethan doch dran geht. Im Hintergrund höre ich laute Stimmen und Gelächter, auch Gläserklirren.
„Mückchen“, begrüßt Ethan mich, „bist du gut angekommen?“
„Ja, ich wollte dir nur Bescheid sagen.“
„Fein. Danke.“
„Hast du einen Moment Zeit?“
„Du, das ist gerade ganz schlecht. Theo und ich sind mit einen paar Freunden in einem Pub. Ich kann dich kaum verstehen, weil es hier so laut ist.“
„Okay“, sage ich.
Ethan will schon auflegen, da rufe ich schnell: „Halt!“
„Ja? War noch etwas?“
„Ich vermisse dich jetzt schon ganz furchtbar.“
Ethan lacht kurz auf. „Das will ich ja wohl auch hoffen, mein Mückchen!“, dann legt er auf.
Kein Wort, dass ich ihm auch fehle. Na, toll. Nun gut, er saß ja im Pub. Sein Bruder und seine Freunde, (auch Freundinnen?, schießt es mir durch den Kopf), sitzen um ihn herum. So wie ich Ethan kenne, würde er sich eher die Zunge abbeißen, als in so einer Situation süße Beteuerungen in das Telefon zu hauchen. Das kann ich sehr gut verstehen.
Ich werfe mich wieder zurück auf das Bett und starre an den Haken, wo das Mobile vorhin noch hing.
Viel gebracht hat der Anruf nicht. Jetzt fühle ich mich fast noch unglücklicher als vorher. Ich spüre, wie etwas nass über meine Wange läuft. Gleich wische ich es ärgerlich weg.
Mensch Lea, du wolltest doch
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