Verliebt in einen Gentleman
erwachsen werden, rufe ich mich zur Ordnung.
Bloß nicht weinen. Was sollen meine Eltern denken?
Also putze ich mir die Nase, wische mir noch einmal über die Augen und gehe zu ihnen hinunter.
Meine Mutter hat das Essen liebevollst hergerichtet. Ich fühle mich, wie der verlorene Sohn, dem man das gemästete Kalb geschlachtet hat. Sie hat meinen Lieblingsschinken besorgt. Und meinen Lieblingskäse. Sie hat sogar einen Granatapfel gekauft. Die sind so schwer zu finden, und ich bin schon immer ganz verrückt danach gewesen.
„Mama, das hast du ja alles so lieb gemacht“, sage ich, „danke.“
„Kind, wir freuen uns so, dich wieder zu sehen.“
Ich sehe mich wohlgefällig um. Hier ist es gut geheizt. Durch das große Fenster blicke ich in den gepflegten Garten. Papa hat die Außenbeleuchtung angemacht, und man kann sehen, wie die ersten Schneeflocken sacht im Licht tanzen. Wir sitzen im Esszimmer an dem großen Kirschholztisch, der schon meinen Großeltern gehört hat. Alles ist komfortabel, geschmackvoll und großzügig.
Ich muss denken, wie groß der Kontrast zu dem kleinen Häuschen der Lanes ist. Als ich an ihren Campingtisch denke, muss ich schmunzeln.
„Was vergnügt dich so?“, fragt meine Vater.
„Ach, nichts“, sage ich, greife nach dem Brotkorb und nehme mir eine Scheibe heraus. Ich glaube nicht, dass meine Anekdoten meine Eltern so furchtbar interessieren würden. Bestimmt denken sie dann nur, wie dumm ihre Tochter war, sich überhaupt in so schlichte Verhältnisse einzumieten. Das wäre mir peinlich.
Meine Eltern wechseln einen Blick, sagen aber nichts.
Nach einer Weile sagt meine Mutter: „Du hast sicher nette neue Freundschaften geschlossen, dort in England.“ Dabei sieht sie mich auffordernd an.
Aha. Sie will mich aushorchen, ob ich einen Freund habe. Soll ich ihnen von Ethan erzählen? Nein, besser nicht. Was, wenn wir doch auseinander gehen sollten? Dann wäre es besser, meine Eltern hätten nie etwas von ihm erfahren. Und wozu auch? Ich bin doch erwachsen. Meine Beziehungen gehen meine Eltern doch nicht wirklich etwas an. Wenn wir einmal heiraten sollten, werden sie es schon noch früh genug erfahren.
Ich lenke ab, indem ich sage: „Da ist eine nette Französin aus der Bretagne.
Sie heißt Catherine.“
„Oh, wie schön! Die Bretagne ist so herrlich. Vielleicht kannst du sie dort eines Tages besuchen.“
„Ja, vielleicht.“
So geht es die ganzen Tage. Ich will ich einfach nur ausspannen und es genießen, wieder daheim zu sein, aber meine Eltern wollen mit mir plaudern und erzählen. Ich will und habe nichts mitzuteilen. Ich will nur in Ruhe gelassen werden und an Ethan denken. Wir telefonieren fast jeden Tag. Immer wieder fiebre ich dem Moment entgegen, bis ich seine tiefe Stimme höre. Doch leider muss ich damit leben, dass unsere Telefonate relativ kurz und nichtssagend sind, im wahrsten Sinn des Wortes, denn Ethan, mein vornehmer, zurückhaltender Ethan, IST halt ein sehr schweigsamer Mensch. Am Telefon ist es noch schlimmer. Während eines unsrer Gespräche entschuldigt er sich sogar bei mir und sagt: „Hoffentlich verstehst du es als großes Zeichen meiner Zuneigung, dass ich überhaupt mit dir telefoniere, Mücke.“
„Warum?“
„Ich hasse es, zu telefonieren.“
Nur damit er nicht gleich auflegt, rede ich wie ein Wasserfall. Ich erzähle und erzähle. Ethan sagt dann manchmal müde: „Liebe Lea, musst du mir das denn jetzt alles erzählen? Heb doch was auf, bis wir wieder zusammen in Gatingstone sind.“
Meinen Eltern entgeht nicht, dass ich so regelmäßig und ausdauernd telefoniere.
„Ihr beiden Mädchen, du und die Französin, versteht euch wohl sehr gut?“, fragt meine Mutter.
„Ja“, sage ich nur und ändere das Thema.
Die Ferientage vergehen schnell, und schon ist Heiligabend.
Unter dem Weihnachtsbaum finde ich ein kleines, flaches Päckchen. Als ich es auspacke, schauen meine Eltern mich erwartungsvoll an. Es ist das „besonders schöne Geschenk“, dass mein Vater mir versprochen hat.
Als ich es in den Händen halte, bin ich wirklich sehr dankbar und beglückt; es ist ein funkelnagelneues Smartphone. Bis jetzt habe ich nur ein normales Mobiltelefon gehabt, zwar ein ziemlich edles, aber damit konnte man nicht ins Internet.
„Wir haben dir auch einen Vertrag dazu geschenkt“, sagt mein Vater stolz, „nämlich einen, der auch für England gilt. Du hast in Deutschland und England für ein ganzes Jahr eine Flatrate.“
Das ist der
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