Verliebt in einen Gentleman
wenn wir abends im Pub sind. Sei so gut, und verschone mich!“
Pfff!
Nun bin ich so richtig frustriert. Endlich habe ich die Möglichkeit, mit ihm ständig in Kontakt zu sein, und er will das gar nicht.
Ethan merkt, dass ich schweige. „Mücke, wir sehen uns doch in wenigen Tagen wieder. Dann brauchen wir uns nicht über den Äther zu unterhalten. Ich möchte eine Auszeit von deinen Bombardements.“
„Heißt das, dass ich wieder nur einmal am Tag anrufen soll?“
„Ja, heißt es.“
Na toll.
Aus Frust fahre ich mich auf ein Computerspiel ein, das ich heruntergeladen habe. Es ist richtig toll. Da sind bunte Bonbons, die über den Bildschirm verteilt sind. Man kann sie durch geschickte Kombinationen abschießen. Es ist ungeheuer befriedigend, wenn sie flirren und explodieren.
Wenn ich eine Aufgabe gestellt bekomme, kann ich sehr ehrgeizig werden. Deswegen bin ich auch eine ziemlich gute Studentin.
Aber statt Bücher zu lesen und Examensaufgaben zu üben, verbringe ich jetzt meine Zeit mit dem Spiel. Ich arbeite mich Level um Level weiter. Es macht wahnsinnig Spaß.
Morgens, nach dem Aufwachen, spiele ich gleich ein paar Runden. Ich nehme mein Handy mit zum Frühstück, lege es neben den Teller und es geht weiter. Wenn meine Eltern abends fernsehen, kringle ich mich in meinen Lieblingssessel hinein und spiele und spiele, bis meine Augen brennen.
Meine Mutter sagt: „Lea, was machen deine Freunde hier in Deutschland so? Hast du nicht Lust, mal welche zu treffen?“
„Nö“, sage ich, „wieso? Ist doch ganz kuschlig hier bei euch, oder störe ich euch etwa?“ Ich habe vorsichtshalber gleich zu Beginn meiner Spielleidenschaft den Ton des Spiels dauerhaft ausgestellt, damit ich meine Umwelt nicht damit belästige.
„Nein, natürlich nicht“, sagt sie, aber du beschäftigst dich in der letzten Zeit extrem einseitig, meinst du nicht?“
„Hm“, murmle ich, „ich freue mich halt über mein Smartphone. Ist doch toll, oder?“
Kurz vor Silvester gucke ich mal wieder bei Facebook vorbei. Da sehe ich, dass meine WG eine Silvester-Party plant. Ich hätte schon Lust, mal wieder so richtig zu tanzen. Meine Eltern gucken sich Silvester immer „Dinner for One“ an, dann die üblichen Musikprogramme, und kurz vor zwölf öffnet mein Vater eine Flasche Sekt und man prostet sich Mitternacht gegenseitig zu, nimmt einen Schluck Sekt und küsst sich gegenseitig. Dann geht man schlafen.
Ich habe mich aus dieser Prozedur schon vor Jahren ausgeklinkt, denn da gab es tausend spannendere Angebote.
Dieses Jahr könnte ich doch die Zeit bis Mitternacht gemütlich mit meinem Smartphone überbrücken. Immerhin bin ich schon bei Level 48. Es wäre doch ganz nett, wenn ich pünktlich zum Neuen Jahr die 50 knacken würde.
Aber dann beschließe ich, doch nach Münster zu fahren. Meine Mitbewohner sichern mir zu, dass sie sich freuen, wenn ich komme, und dass ich sogar in meinem eigenen Zimmer schlafen kann, weil die Portugiesin über die Feiertage nach Hause gefahren ist.
„Seid ihr sehr traurig, wenn ihr Silvester ohne mich feiern müsst?“, frage ich meine Eltern.
„Nein, nein“, sagen beide fast simultan.
„Im Gegenteil“, sagt mein Vater, „du bist doch immer so Feier-freudig gewesen. Wenn du Silvester nicht auf irgendeine Party gehen würdest, dann wäre das richtig gruselig.“
Ich verstehe. Sie machen sich immer noch Sorgen, es könne etwas mit mir nicht stimmen. Dabei müssen sie sich einfach daran gewöhnen, dass ich zur Zeit einen Riesensprung dahin mache, erwachsen zu werden. Dank Ethan.
Als ich Silvester in Münster unten auf der Straße vor meiner WG stehe und an der Fassade hoch schaue, muss ich auf einmal daran denken, wie ich dort aus der Limousine ausgestiegen bin, nach dem seltsamen Ausflug nach Hohensyburg. Ich muss über mich über mich selber, über die „alte“ Lea, wundern. Was habe ich nicht vor kurzer Zeit noch für einen Quatsch gemacht! Gut, dass Ethan davon nichts weiß. Er fände das sicher alles höchst bedenklich.
Marc und Lisa kommen sofort an die Tür, als ich klingele, und begrüßen mich.
„Hey, Fremde!“, sagt Marc. „Wie geht es dir? Lange nicht mehr gesehen. Was macht die Kunst?“
„Ist alles okay“, sage ich.
Lisa horcht mich gleich aus. „Ich habe gesehen, dass du bei Facebook deinen Beziehungsstatus geändert hast. Darf man Genaueres wissen?“
„Ja, zum Beispiel, dass ich jetzt meinen Traummann gefunden habe“, sage ich selbstbewusst.
„Wow!
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