Verliebt in einen Gentleman
Herzlichen Glückwunsch! Wann heiratet ihr?“
„Mach dich nur lustig“, sage ich, „so unwahrscheinlich ist das gar nicht.“
„Also können wir dein Zimmer an jemand anderen vermieten, wenn Sophia wieder in Portugal ist?“, fragt Marc.
Ich sage nur: „Vielleicht, wer weiß?“
Dann helfe ich den beiden bei den Partyvorbereitungen. Wir drapieren Luftschlangen, stellen den Sekt kalt, verteilen Knabberzeug in Schalen.
Gegen zehn kommen die ersten Kommilitonen. Wir drehen die Musikanlage ordentlich auf und fangen an zu tanzen. Es wird immer voller. Himmel! Haben die beiden ganz Münster eingeladen?
Ich muss zugeben, die Party beginnt mir richtig Spaß zu machen, obwohl ich mit schlechtem Gewissen an Ethan denke. Eigentlich sollte ich irgendwo in einem Sessel sitzen, wehmütig ins Leere starren und ein feuchtes Taschentuch in meiner Hand halten. Aber dafür tanze ich einfach zu gerne. Und es ist das erste Mal, dass ich wieder zum Tanzen komme, seit der memorablen Party in Cambridge. Ich glaube kein andrer Gast tanzt so wild und ausgelassen, wie ich. Es ist fast so, als hätte sich ein „Tanz-Hunger“ in mir aufgebaut, der jetzt richtig Stoff braucht.
Gerade, als ich endlich beschließe, doch mal eine Pause zu machen, um wenigstens etwas zu trinken, da steht plötzlich Jens vor mir. Oh Mann, wer hat den denn eingeladen?
Als er mich sieht, breitet sich freudiges Wiedererkennen auf seinem Gesicht aus.
„Lea! Hey, wie toll, dich hier zu sehen! Ich dachte, du wärst in England.“
Ich überlege, wie ich mich möglichst schnell von ihm entfernen könnte, aber wir stehen so dicht gedrängt, dass ich fast an seine Brust gepresst bin. Ich erkenne sogar den vertrauten Duft des Rasierwassers, dass er damals in Hohensyburg hatte. Zugegeben, es riecht nicht schlecht.
„Hallo Jens“, sage ich schlapp. „Wer hat dich denn hierher eingeladen?“
Er zuckt zusammen. Ich schäme mich ein bisschen, denn
das klang nun wirklich ziemlich schäbig.
Ich muss daran denken, wie nett er mir damals in Hohensyburg aus meiner misslichen Lage geholfen hatte, und auch in Cambridge war nicht alles schlecht gewesen.
Also sage ich: „Sorry. Das klang jetzt nicht so gut. Ich freue mich natürlich, dich wieder zu sehen, Jens.“
Schon strahlt er wieder.
Ich weiß nicht, wie es kommt, aber als er mich so anstrahlt und so offensichtlich froh ist, mich zu sehen, da ist es so, als ob irgend etwas in mir auftaut.
Was kann das sein? Mir ist doch nicht kalt. Hier in unserer überfüllten WG ist es eher stickig und heiß. Und doch...
Ich kann meinen Finger nicht darauf legen, was es ist.
Wahrscheinlich habe ich schon zu viel getrunken, denke ich mir. Der Alkohol fließt nur so in Strömen. Fast jeder, der unsere WG betritt, hat eine Flasche in der Hand, und darunter ist auch Zeug, dass einen locker auftauen lässt, obwohl ich die Finger davon lasse.
Die Zeit rückt voran, und bald ist es soweit: alle starren auf ihre Uhren oder ihre Handys, um zu sehen, wann, auf die Sekunde genau, das Jahr um ist, und das neue Jahr beginnt.
„...fünf...vier...drei...zwei...eins...“, unsere gemeinsamen Stimmen heben sich zu einem fröhlichen Crescendo an, „NULL!“
Sofort ruft es aus allen Ecken: „Frohes Neues Jahr, Frohes Neues Jahr!“
Alle liegen sich nach gutem Brauch in den Armen.
Plötzlich habe ich im Getümmel Jens' Arme um mich.
„Frohes Neues Jahr, Lea“, sagt er, aber nicht laut und übermütig, sondern sanft und eindringlich. Dann gibt er mir einen Kuss, aber nicht aufs Kinn oder die Stirn oder die Wange, sondern direkt auf den Mund. Ich weiß nicht, liegt es an mir, oder ihm? Seine Lippen bleiben deutlich länger auf meinen, als es nötig wäre.
Was soll ich tun? Eigentlich müsste ich ihm eine schallende Ohrfeige verpassen. Mir scheint, er nutzt das allgemeine Durcheinander schamlos aus.
Aber...
Als der Kuss vorüber ist, sieht mich Jens schuldbewusst an.
„Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist“, sagt er. „Verzeih mir Lea. Es soll nicht wieder vorkommen.“
Jedem anderen Kerl hätte ich spätestens nach dieser Bemerkung doch noch die schallende Ohrfeige gegeben, aber es gibt da ein Problem: Mir geht es genau so. Ich weiß auch nicht, was über mich gekommen ist. Hand aufs Herz, ich fand den Kuss ziemlich gut.
Und Jens ist so ein feiner Kerl, dass ich ihm seine Beteuerung sogar abnehme.
„Ist schon okay, Jens“, sage ich, „mach dir keinen Kopf. Komm, wir tanzen noch eine Runde.“
Während wir
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