Verliebt in einen Gentleman
vorkommt, auf der linken Straßenseite zu radeln.
Den einen Nachmittag fahren wir etwas weiter weg, bis zu einer kleinen weißen Kirche, die oben auf einem Hügel steht.
Wir lehnen die Fahrräder an die Friedhofsmauer und betrachten die alten Grabsteine, die schon längst umgesunken sind oder schief stehen. Auf ihnen sind kaum leserliche Inschriften in uralter Schrift.
„Was ist das für eine merkwürdige Kirche?“, frage ich Edwin. „Wo ist das Dorf, das um so eine Kirche herum gehört?“
Edwin erzählt mir, dass hier im Mittelalter tatsächlich einmal ein ganzes Dorf gewesen wäre, aber dass darin die Pest ausgebrochen sei. Alle Einwohner wären daran gestorben, und man hätte nach und nach die Häuser abgetragen, um sie als Baumaterial zu benutzen. Nur vor der Kirche und dem Friedhof habe man zu viel Achtung gehabt, um sie abzureißen, und so stünden sie seit Jahrhunderten noch unversehrt da.
An manchen Tagen treffe ich mich auch mit Catherine und wir gehen ins Dorf, um etwas einzukaufen oder einfach nur zum Schaufensterbummeln.
Wir verabreden uns meistens in der Schule, wenn wir uns in der Kantine oder im Sprachlehrerzimmer treffen.
„Eigentlich finde ich es schade, dass wir mit den anderen Lehrern fast nichts zu tun haben, weil es dieses separate Lehrerzimmer gibt“, sage ich Catherine eines morgens.
Die eine Englischkollegin, eine kleine drahtige Schottin mit Sommersprossen überhört meine Bemerkung.
„Das stimmt, Lea“, sagt sie daraufhin, „darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht, aber eigentlich wäre es schon nett, wenn ihr mal ein paar Kollegen aus den anderen Fächern kennenlernen könntet. Hättet ihr denn mal Lust, mich in meiner WG in Brantwood zu besuchen? Ich würde einfach ein paar von den jüngeren Kollegen einladen.“
Catherine und ich nicken praktisch gleichzeitig. Bis jetzt kennen wir nur die Privathäuser unserer Gastgeber. Natürlich sind wir neugierig darauf, zu sehen, wie die jungen Lehrer hier wohnen.
Catherine sagt: „Darf ich einen Vorschlag machen?“
Anne sagt: „Natürlich.“
„Ich würde so gerne für dich und die anderen Kollegen eine bretonische Spezialität zubereiten: Crêpes.“
Anne freut sich. „Oh, das wäre wunderbar. Ich liebe Crêpes! Aber macht das dir nicht zu viel Arbeit? Wir werden,
wenn alle, an die ich so denke, kommen, bestimmt acht Personen sein.“
Catherine sagt: „Lea hilft mir dabei, nicht wahr Lea?“
„Ja klar“, sage ich, „das mache ich gerne.“
„Gut“, erwidert Anne, „dann schau ich mal, ob es am Samstagabend klappt.“
Und so kommt es, dass Catherine und ich am Samstagmorgen gemeinsam in den Tesco, dem Lebensmittelsupermarkt in Gatingstone gehen, um die Zutaten für die Crêpes zu besorgen, mit denen wir am Abend die Kollegen verwöhnen wollen.
Natürlich passiert es wieder.
Diesmal trifft es uns beide.
Als die Verkäuferin die kleine Weinbrandflasche auf dem Laufband entdeckt, hält sie inne und sieht uns kritisch an.
„Seid ihr überhaupt schon achtzehn?“
„Ja klar, bin ich achtzehn“, sage ich und ergänze hastig, „tatsächlich bin ich schon dreiundzwanzig.“
Jetzt schaut die Verkäuferin noch zweifelnder.
„Dann zeig doch mal bitte deinen Ausweis.“
Genervt fummle ich das Dokument hervor.
Die Kassiererin blickt wortlos drauf, reicht es zurück und tippt den Preis für den Cognac in die Kasse ein.
Auf der Straße sehen Catherine und ich uns gegenseitig an.
„Tatsächlich bin ich schon dreiundzwanzig“, imitiert Catherine mich, „wie schräg klang das denn?“ Sie biegt sich vor Lachen.
Ich lächle gequält. Allmählich fühle ich mich wie Günter Grass' Figur Oskar in 'Die Blechtrommel', der als Erwachsener noch immer wie ein Kind und Zwerg aussieht.
„Zum Glück habe ich dich an meiner Seite“, sage ich spitz, „das macht, dass ich um einige Jahre älter aussehe. Der Kontrast macht' s.“
Catherine ist so liebenswürdig und ausgeglichen, dass dies nur noch zu mehr Gelächter führt.
Am Abend treffen wir uns im Bus nach Brantwood.
Catherine hat die Einkäufe mitgebracht.
„Oh Mann“, sagt sie, „ich mache Crêpes schon seit ich ein Kind bin, aber jetzt bin ich doch nervös. Was, wenn sie diesmal nichts werden?“
Ich grinse. „Och, dann sagen wir einfach, dass dies ein besonderes Rezept ist, dass aus deinem Dorf stammt.“
Catherine sagt: „Witzig.“ Es klingt angespannt.
Wie ich, hat sie sich für diesen Abend nicht besonders aufgedonnert.
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