Verliebt in einen Gentleman
verfinstert sich kaum merklich, „oder so, als ob ich zu blöd wäre, um ohne ihn aus zu kommen.“
Ich sehe Catherine an. Gut, ich sehe auch jünger aus, als ich bin – daran hat mich der Barkeeper vorhin wieder erinnert, aber Catherine sieht tatsächlich wie ein kleines Mädchen aus, obwohl sie höchstens zwei Jahre jünger ist, als ich. Sie ist physisch klein und zart. Sie hat eine Haut wie Milch und Blut und große schwarze Augen mit wahnsinnig langen Wimpern. Ich glaube, sie würde in jedem Menschen auf der ganzen Welt sofort einen Beschützerinstinkt auslösen. Selbst ich fühle mich neben ihr so, als wäre ich größer und älter.
Inez sagt ganz unverblümt: „Jedenfalls musst du keine Angst haben, dass er sich in deiner Abwesenheit eine neue Freundin sucht. So wie du aussiehst, würdest du jede andere in den Schatten stellen.“
Catherine freut sich über das Kompliment und wird ganz rot. Ich muss denken, wie nett es doch ist, wenn jemand so hübsch ist und trotzdem bescheiden und kein bisschen eitel.
Anscheinend hat sie selber noch gar nicht realisiert, dass das, was Inez so neidlos festgestellt hat, tatsächlich wahr ist.
Jetzt sagt Catherine: „Jedenfalls wollte er nicht, dass ich nach England gehe, weil er überzeugt davon ist, dass ich dort irgendwie unter die Räder komme. Ich werde ihm beweisen, dass es nicht so ist.“ Sie wirkt dabei sehr resolut und energisch.
Ich sage: „Ich finde es sehr vernünftig von dir, dass du so denkst und das machst. Ich könnte es nicht ertragen, mit jemanden zusammen zu sein, der auf mich herabsehen und mich wie ein Kind behandeln würde. Habt ihr diesen Roman gelesen, der jetzt so populär ist? Darin verliebt sich die Frau in so einen reichen Schönling und lässt sich aus lauter Liebe zu den seltsamsten sexuellen Praktiken verleiten. Ich finde das Frauenbild darin ziemlich grauenhaft.“
Catherine erwidert: „Ich weiß genau, welches Buch du meinst. Mich hat am meisten gestört, dass die Frau sich von dem Mann hat herumschubsen lassen, als könne sie nicht bis drei zählen. Genau so etwas will ich definitiv nicht in meinem Leben
haben.“
Inez sagt: „Obwohl es schon ganz nett ist, wenn man eine starke Schulter hat, an die man sich lehnen kann. Mein Exfreund in Spanien war in der Hinsicht hoffnungslos. Das ist mit ein Hauptgrund, warum ich mit ihm Schluss gemacht habe. Bei dem war es genau umgekehrt. Für ihn war ich eine Art Mama-Ersatz. Ich sollte mich immer um ihn und alles, was ihn betraf, kümmern. Aber wenn ich mal ein Problem hatte, hat er mich damit allein gelassen.“
Obwohl sie wütend und traurig wirkt, muss ich jetzt doch unfreiwillig lachen.
„Nimm es mir nicht übel, Inez“, sage ich entschuldigend, „aber ich muss gerade denken, wie kompliziert es mit den Männern doch ist! Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich erst noch eine ganze Weile allein sein möchte. Den perfekten Mann findet man doch sowieso nie.“
Inez seufzt und sagt bitter: „Aber das hindert uns nicht daran, uns immer wieder in irgendwelche Nieten zu verlieben. So ist das halt.“
Catherine sagt verträumt: „Mein Christian ist keine Niete, nur muss ich ihm noch beibringen, dass ich auch keine bin.“
Inez sagt leicht zynisch: „Na, dann viel Glück dabei!“, aber ich sage sanft: „Ich bin sicher, dass dir das gelingen wird, Catherine. Du bist auf dem besten Wege dorthin.“
Wir stehen auf, ziehen unsere Jacken an und wandern hinaus in die Nacht und in Richtung Bushaltestelle.
Meine erste Woche in Gatingstone vergeht wie im Flug.
Ich habe mich schnell an die Schule gewöhnt, und die Arbeit mit den Schülern macht mir viel Spaß. Ich habe es aber auch leicht, denn ich bin für sie ein spannendes Objekt – schließlich bin ich für viele von ihnen die erste Deutsche, der sie jemals begegnet sind. Selbst wenn meine Kleidung sich nicht wesentlich von ihrer unterscheidet, betrachten sie mich wie ein exotisches Wesen von einem anderen Stern. In den Oberstufenklassen sind die Sprachlehrer sehr dankbar, wenn ich mich in Diskussionen einschalte oder kleinere Vorträge über die deutsche Landeskunde halte. Dann sitzen die Schüler mit offenen Mündern da und staunen nur noch. Für mich ist es ein seltsames Gefühl, für etwas bewundert zu werden, was ich von Natur her sowieso gut kann; meine Sprache zu sprechen.
Dabei sprechen die Schüler alle ein so gutes Englisch, wie es sich selbst der fleißigste Einser-Schüler in Deutschland niemals aneignen könnte.
Bei
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