Verliebt in einen Unbekannten

wurde von der Türklingel unterbrochen. Sam sprang auf. »Aha! Ich habe Ness und Hailey zum Brunch eingeladen«, erklärte er und drückte auf den Türsummer, um sie einzulassen. »Du warst so verflucht beschäftigt seit deiner Rückkehr zu Salutech, dass ich dachte, du könntest ein bisschen kameradschaftliche Unterstützung gebrauchen.«
    Ich verspürte eine große Woge der Dankbarkeit. Sam hatte recht. Es hatte meinem Selbstwertgefühl definitiv gutgetan, mich wieder in die Arbeit zu stürzen, doch gleichzeitig war nicht viel Zeit für Freunde geblieben. Sam war dieser Tage ausgesprochen umsichtig. Wenn wir doch nur …
    Ich unterbrach mich. Wenn wir doch nur … ach was, vergiss es!
    Hailey hatte ungefähr zehntausend Würstchen mitgebracht und sah ganz anders aus als sonst in ihrem fließenden Blumenmusterkleid. In Anbetracht der Tatsache, dass ich sie in nichts anderem kannte als in knallengen, sexy Klamotten, fragte ich mich unweigerlich, ob diesmal Matty bei der Wahl ihrer Kleidung die Hand im Spiel gehabt hatte. »Das sind die besten Würstchen, die du je zwischen die Zähne gekriegt hast«, verkündete sie. »Allein gestern habe ich sechs Stück davon verschlungen. Verkneif dir deinen Kommentar, bis du sie selbst probiert hast.«
    Ness, die zu den nervtötenden Menschen gehörte, die höchstens ein halbes Würstchen im Jahr zu sich nahmen, lachte nervös. Sie hatte Obst mitgebracht.
    Hailey schob Sam zur Seite und übernahm das Regiment in der Küche. »Bowes, das hier ist nicht dein Platz«, teilte sie ihm mit. Dann legte sie mindestens fünfzehn Würstchen in die Bratpfanne und zog einen gigantischen Laib Brot aus ihrer Tasche, den sie gleich darauf in Scheiben schnitt. Während sie Butter darauf strich, bellte sie Ness, die sie offenbar zu ihrem Souschef ernannt hatte, Befehle zu. Ich beobachtete sie, und plötzlich wurde mir klar, wie ironisch es im Grunde war, dass ich , die ach-so-kaltschnäuzige Powerfrau, lediglich ein winziges Fünkchen ihres Selbstbewusstseins besaß. Im Laufe meiner Karriere hatte ich zwei Mitarbeiter entlassen müssen, und beide Male hatte ich anschließend auf der Toilette geweint. Hailey feuerte aufsässige Köche und drückebergerische Kellner mit der gleichen Gelassenheit, mit der Sam Popel wegschnippte.
    Während Hailey Ness herumkommandierte, schweiften meine Gedanken zu Salutech ab, und ich fing an, mich zu fragen, ob Margot mich im Büro von nun an genauso behandeln würde. Margot war ebenso ungestüm wie Hailey, doch ihr fehlten der Witz, der Charme und die mitreißende Begeisterung, die Hailey in ihrem Umfeld beliebt machten. Ich schauderte. Die machtgeile kleine Arschkriecherin hatte von Anfang an vorgehabt, mich fertigzumachen, und zwar exakt von der Sekunde an, in der sie unsere Abteilung betreten hatte. Ich hatte es schon vor langer Zeit aufgegeben, ihre Beweggründe herausfinden zu wollen. Doch nun war es so weit: Sie konnte mich als Wischmopp benutzen, es sei denn, mir käme innerhalb der nächsten achtundvierzig Stunden eine wirklich clevere, um nicht zu sagen brillante Idee. Eine bittere Aussicht.
    Â»Sind die Portionen für Zwerge?«, fragte Hailey Ness, die Obst in Schüsseln schnitt.
    Ness kicherte. »Entschuldige. Ich bin eben an Sarah gewöhnt. Sie isst wie ein Spatz.«
    Das stimmte: Sarah war sogar noch zierlicher als Ness. (Granny Helen hatte die beiden »die Lesbenkobolde von Edinburgh« genannt, als sie ihr Sarah das erste Mal vorgestellt hatte. Zum Glück hatte Sarah das komisch gefunden.)
    Hailey schnaubte, kippte zwei von Ness’ Obstsalaten in eine Schüssel und hielt sie Ness unter die Nase. » Das ist eine anständige Portion«, verkündete sie. »Anders als du, Ness, habe ich einen gesunden, kräftigen Mann zu beköstigen. Nimm das bitte zur Kenntnis.«
    Die Dynamik in Haileys Haushalt musste höchst amüsant sein. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie die typische Zubereitung einer Mahlzeit aussehen mochte: Hailey, die geräuschvoll gewaltige Portionen zusammenwarf, während Matty mit einem Laserschwert Dosen öffnete. »Wie läuft’s eigentlich mit Matty?«, fragte ich sie.
    Sie drehte sich nicht um. »Wirklich gut«, antwortete sie bedächtig. »Wirklich, wirklich gut. Ich glaube sogar …« Sie verstummte.
    Â»Was?«, hakte Ness