Verliebt in einen Unbekannten
plötzlich neben mir auftauchte. »Ich bin der Ãberzeugung, dass der heutige Tag besser läuft, wenn wir einen belebenden Quickie einlegen.«
»Du Tier«, sagte ich und reichte ihm die Seife.
Er wusch sich widerwillig das Gesicht, dann legte er die Seife weg. Ein rebellischer Ausdruck trat in seine Augen. »Du hast recht«, sagte er. »Ich bin ein Tier, komplett triebgesteuert. Und es tut mir leid, aber mein Trieb verlangt, dass ich mich mit dir auf der Stelle paare.«
Ohne weiteres Gewese hob er mich auf die Arme und trug mich zurück ins Bett. »Ich kann nicht«, jammerte ich. »Ich muss noch meine Unterlagen durchgehen, und dann muss ich zu meinen Eltern fahren, John. John, geh runter ⦠oh! Oh! Ooohhh!«
Und das warâs.
Etwas später fuhr ich schuldbewusst über die A1. Warum hatte ich heute Morgen nachgegeben? Warum hatte ich nicht klar und deutlich Nein gesagt? Warum konnte ich überhaupt nie Nein sagen?
»Es tut mir leid, Granny Helen«, flüsterte ich. Ich stellte mir vor, wie sie den Kopf schüttelte und etwas über die Jugend von heute vor sich hin murmelte, und rang mir ein tapferes Lächeln ab. Ich fürchtete mich vor dem Tag, der vor mir lag. Ich wollte, dass meine Eltern mir eine Stütze waren, doch in Wirklichkeit war es eher umgekehrt. Von all den Malen, die ich für meine Eltern hatte da sein müssen, war dies das schlimmste: Dad war praktisch auÃer Gefecht gesetzt, und sogar Mum â die stärkste, kompetenteste Frau des ganzen Universums â wirkte zerbrechlich und unsicher. Plötzlich merkte ich den beiden ihr Alter an, merkte, dass sie an ihre Grenzen stieÃen, und das gab mir das Gefühl, entwurzelt und verletzlich zu sein.
Hailey hatte Ness in einer knappen SMS mitgeteilt, dass sie heute nicht zum Begräbnis erscheinen würde. Seit Donnerstagnacht hatte ich es immer wieder bei ihr probiert, doch sie hatte all meine Anrufe weggedrückt und mir schlieÃlich eine brüske Verpiss dich- SMS geschickt. Hailey hatte Granny Helen geradezu verehrt, und es entsetzte mich, dass sie aus Hass auf mich die Beerdigung boykottierte. Weil ich nicht wusste, wie ich mir sonst helfen sollte, hatte ich ihr eine lange E-Mail geschrieben, in der ich mich für meine mangelnde Sensibilität entschuldigte und mein Verhalten damit erklärte, dass ich bei dem Anruf betrunken gewesen sei. Allerdings blieb ich dabei, dass alles, was ich ihr über Matty erzählt hatte, der Wahrheit entsprach.
Ness hatte darauf hingewiesen, dass Hailey inzwischen mit Sicherheit bei love.com reingeschaut hatte, um zu sehen, ob meine Geschichte stimmte, deshalb begriffen wir beide nicht, weshalb sie mich nun schnitt. Warum sollte ich die Schuld daran tragen? Und warum in Gottes Namen verdächtigte sie mich , mit Matty zu schlafen?
Um kurz vor neun betrat ich die Küche meiner Eltern, und sämtliche Gedanken an Hailey â und alle anderen auch â lösten sich in der kummerschweren, abgestandenen Luft auf. Von dem üblichen geschäftigen Treiben war nichts zu merken: Dad lehnte am Herd und starrte mit ausdruckslosem Gesicht auf Malcolm, Malcolm lag auf seinem Hundebett und starrte mit ausdruckslosem Gesicht auf Dad, und Mum tischte ganz unmütterlich Frosties und H-Milch auf. Katy und Ness, die schon gestern Abend angekommen waren, sahen schön aus, aber traurig. Katy trug ein schwarzes Vintage-Kleid mit einer groben Strickjacke, dazu einen raffinierten Haarreifen aus den 1980ern. Ness wirkte jung und frisch in ihrem hübschen Hemdblusenkleid und den Stiefeln. Wie immer kam ich mir groÃ, langweilig und steif vor in dem schlichten, schwarzen Etuikleid, das ich für gewöhnlich bei der Arbeit trug.
Zum Glück begrüÃte mich Malcolm mit wilder Begeisterung, schob mit der Nase meine Tasche zur Seite und wedelte nicht nur mit dem Schwanz, sondern mit dem ganzen Körper. Er sprang sogar an mir hoch und versuchte, mir einen Hundekuss zu geben, und ich wusste sofort, wie schlecht die Dinge standen, wenn Mum dafür nicht mit ihm schimpfte.
Nachdem ich alle rasch umarmt hatte, setzte ich mich, aà ein paar Frosties und hörte Ness zu, die mir erklärte, wie der heutige Tag ablaufen sollte. Wir wurden von dem nicht enden wollenden Klingeln meines Handys unterbrochen, das ich schlieÃlich aus der Tasche zog, um es genervt zum Schweigen zu bringen. »Dämliches Ding«, knurrte
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