Verliebt in Hollyhill: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
einer Vitrine in der hinteren Ecke schmiegten sich Perücken aneinander, weiße, aufgeplusterte Lockenprachten von anno dazumal.
»Schrecklich unbequem«, raunte Cullum in Emilys Ohr. »Ist Gott sei Dank ziemlich kurz, diese Epoche.«
»Nun komm schon, Cullum!« Chloes Stimme hallte durch den langen Gang zu ihnen, zu sehen war sie allerdings nicht. Stattdessen tauchte Silly plötzlich auf, sie eilte ihnen entgegen. »Da bist du«, erklärte sie strahlend, nahm Emily am Arm und zog sie von Cullum weg in Richtung des Punkts, an dem Emily das Querschiff vermutete. »Klapp den Mund wieder zu, Joe hat schon ein Kleid für dich rausgesucht.«
»Wieso sind es so viele?«, fragte Emily dumpf. »Ich meine, wen kleidet er ein – das halbe britische Königreich?«
»Er sammelt«, antwortete Silly schlicht. »Auswahl ist alles.«
»Endlich!« Kaum hatten sie Joe erreicht, drückte er Emily auch schon ein Bündel Stoff in die Hand. Dann drehte er sie um, schob sie in eine Art Umkleidekabine und zog einen Vorhang hinter ihr zu. »Hey«, protestierte sie, während Joe im Weggehen kommandierte: »Sag Bescheid, wenn du fertig bist, Silly soll dir beim Schnüren des Korsetts helfen.«
Emily steckte den Kopf hinter dem Vorhang hervor. Joe war bereits zehn Schritte entfernt und kniete vor Adam nieder, um eine moosgrüne Kniehose in schlammbraunen Stiefelschäften zu befestigen. Eve drehte sich neben ihm vor einem ausladenden Spiegel. Sie hielt ein lindgrünes Kleid vor sich, das in raschelnden Wellen um ihre Knöchel schlug.
Das Querschiff dieses Kleidertempels war in der Tat mehr Edelboutique als alles andere, mit einer Reihe von Umkleidekabinen und Spiegeln auf der einen sowie zahlreichen Schmink- und Frisiertischen auf der anderen Seite. Emily sah zu, wie ihre Großmutter ihren kurzen Haarschopf unter einer Perücke mit elegant gesteckter Hochfrisur verschwinden ließ. Ihr Blick traf den von Emily in dem von Lämpchen umrahmten Spiegel, und sie zwinkerte ihrer Enkelin zu. Als Martha-May nach ihr rief, stand sie auf und verschwand in einer der Kabinen neben der von Emily, und gleichzeitig trat Josh aus einer anderen, mit beiden Händen damit beschäftigt, ein Tuch um seinen Hals zu einer Art Krawatte zu binden.
Alle wirkten so pragmatisch, so geübt, so hochprofessionell, als täten sie in ihrem Leben nichts anderes, als sich für lang vergangene Jahrhunderte in Schale zu werfen. Was ja auch irgendwie der Fall war.
Sie sah sich nach Matt um, konnte ihn aber nirgendwo entdecken. Hinter den Vorhängen der restlichen Kabinen ließen sich Bewegungen ausmachen, und sie vermutete ihn dahinter – diesmal würde nicht einmal er sich wei-gern, Jeans und Stiefel gegen … was auch immer einzutauschen.
Seufzend verschwand Emily in ihrer Kabine und widmete sich ihrem eigenen Verkleidungsprojekt. Sie zog sich aus, schlüpfte erst in ziemlich fragwürdige Unterwäsche und dann in ein dunkelrotes Kleid mit langem Arm, riesigem Ausschnitt und einem Band unter der Brust, das diesen entsprechend auszufüllen half. Das Korsett würde sie auf keinen Fall tragen. Sie fühlte sich ohnehin schon nackt genug mit ihrem hochgepuschten Dekolleté, da musste keinesfalls noch ein Mieder nachhelfen.
Silly kicherte, während sie sich die etwa dreißig Zentimeter lange Knopfreihe auf Emilys Rücken entlangarbeitete. »Am besten versteckst du das Korsett irgendwo«, flüsterte sie. »Wenn Joe erfährt, dass du nicht standesgemäß geschnürt bist …« Sie lachte, und Emily stöhnte auf.
»Es kommt mir noch schlimmer vor als beim letzten Mal«, sagte sie mit Blick auf ihr Dekolleté. »Wie hältst du das nur aus? Ich kann schon diese Verkleiderei an Fasching nicht leiden, habe ich das mal erwähnt? Kostüm-Muffel, absolut. Es ist – es passt einfach nicht zu mir.«
Sie ließ es zu, dass Silly sie umdrehte, breitete allerdings spontan eine Hand über die Haut unter ihrem Hals aus und klopfte nervös mit den Fingern darauf herum.
Silly grinste sie an. »Es sind nur Kleider, Emily, nichts weiter. Ein bisschen Stoff, der dafür sorgt, dass du dich besser in die Umgebung einpasst.«
»Zu wenig Stoff«, sagte Emily.
»Warte hier.« Silly verschwand für zwei Minuten und kehrte mit einem grauen Wolltuch zurück, das sie Emily über die Schultern legte. »Besser?«, fragte sie.
Emily nickte dankbar. »Ich passe trotzdem nicht hierher, oder?«, fragte sie. »Ich meine, was tue ich hier? Ich sollte zurück nach Hause. Meine Großmutter, meine Freunde …«
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