Verliebt in meinen griechischen Feind
sie jemals ihr Ziel erreichen würden, als im Schein der untergehenden Sonne die Schutzhütte sichtbar wurde, eng an die abfallenden Felsen gequetscht.
Es war ein modernes, einladendes Gebäude direkt oberhalb der Samaria-Schlucht, doch Courtney war zu müde, um die atemberaubende Aussicht zu bewundern. Sie wollte sich nur noch ausruhen. Sie wurden von gedämpftem Licht und fröhlichen Stimmen begrüßt, und in der Eingangshalle kam ihnen ein großer, drahtiger Mann entgegen. Während Lefteris sich leise mit ihm unterhielt, zog Courtney sich die Schuhe aus und betrachtete erschöpft ihre wunden Füße. Sie war froh, dass Lefteris sich um alles kümmerte. Nach einer Weile nickte der Mann und verschwand in einem Nebenraum.
“Franz versucht, für uns über Funk eine Verbindung zur Polizei herzustellen”, sagte Lefteris und nahm sie bei der Hand. “Du kannst inzwischen duschen. Wir treffen uns dann im Speiseraum.”
Noch nie hatte Courtney eine Dusche so genossen. Glückselig ließ sie das Wasser über ihren müden Körper rinnen und wusch sich den Staub und Schweiß von zwei Tagen ab. Danach fühlte sie sich zwar immer noch erschöpft, aber sehr viel erfrischter.
An der Tür zum Speiseraum zögerte sie. Angesichts der vielen Menschen in lässiger Wanderkleidung kam sie sich mit ihrem unförmigen schwarzen Kleid und dem wirren, nassen Haar völlig unmöglich vor.
Lefteris saß an einem Tisch, als wäre er hier – wie überall – zu Hause, und winkte sie zu sich. Er stellte sie dem österreichischen Wirt vor, der ihr erklärte, es sei ihm auf Grund atmosphärischer Störungen nicht gelungen, nach Chania durchzukommen. Gleich morgen früh würde er es noch einmal versuchen. Courtney nickte benommen. Sie überließ Lefteris die Unterhaltung, während sie eine große Schüssel Eintopf löffelte.
Der warme, gemütliche Raum, erfüllt von fröhlichem Stimmengewirr in vielen verschiedenen Sprachen, schien plötzlich sehr weit weg zu sein. Der Teller vor ihr begann zu verschwimmen, und sie konnte kaum noch die Augen offen halten. Neben ihr war Lefteris in eine Unterhaltung vertieft, und schließlich gab sie der Versuchung nach und ließ den Kopf schwer gegen seine Schulter sinken.
“Ich glaube, sie ist müde”, sagte jemand amüsiert.
“Ja, das ist sie.” Lefteris’ Stimme schien von sehr weit her zu kommen. Courtney versuchte, sich aufzurichten, doch ihre Muskeln wollten ihr nicht gehorchen. “Können wir irgendwo schlafen? Es scheint heute sehr voll zu sein.”
“Eine Matratze lässt sich vielleicht noch auftreiben”, erklang eine andere Stimme. “Wenn sie für euch beide reicht?”
Wie durch einen Nebel nahm Courtney wahr, dass Lefteris sie hochhob und eine Treppe hinauftrug. Ohne auf ihren schwachen Protest zu achten, legte er sie sanft auf eine Matratze und breitete eine Decke über ihr aus. Mühsam öffnete sie die Augen und sah sein Gesicht über sich.
“Du lässt mich doch nicht allein?”, murmelte sie. “Bitte, komm zu mir.”
“Gleich, agapi mou”, erwiderte er leise. “Schlaf jetzt.”
Es fiel ihr nicht schwer, ihm zu gehorchen. Sie schlief so fest und ruhig, dass sie seine Rückkehr erst wahrnahm, als er sie sanft auf die andere Seite der Matratze schob. Halb im Unterbewusstsein spürte sie, welche Sicherheit sein Körper auf sie ausstrahlte, sie legte einen Arm um ihn und kuschelte sich an Lefteris. Wie von weit her hörte sie ihn etwas flüstern, während er sie in die Arme schloss. Zufrieden seufzend presste sie die Lippen auf seinen Hals und sank wieder in Schlaf.
Von Kallergi dauerte es nur eine Stunde bis hinunter nach Xiloskalo. Sie brachen um kurz vor sieben Uhr auf, da die ersten Busse um acht in Xiloskalo eintreffen würden. Courtney fühlte sich frisch und ausgeruht nach dem erholsamen Schlaf und einem ausgiebigen Frühstück. Es ging ein leichter Wind, die Bergluft war klar und hell, und sie fühlte die Sonne warm auf ihrem Rücken.
Franz war es immer noch nicht gelungen, die Polizei zu erreichen, doch er hatte versprochen, es weiter zu versuchen. Vielleicht war in einigen Stunden schon alles vorbei. Courtney tat es fast leid, dass bald alles zu Ende sein sollte. So etwas wie Urlaubsendstimmung beschlich sie, und sie war entschlossen, die noch verbleibende Zeit zu genießen. Selbst die Bedrohung durch Nikos erschien ihr im hellen Sonnenschein fast unwirklich.
Bis sie den Weg zum Omalos-Plateau erreichten und die Gebäude am Ausgang der Samaria-Schlucht unter sich sahen.
Weitere Kostenlose Bücher