Verliebt in Paris: Roman (Piper Taschenbuch) (German Edition)
Solanges Wohnung ankamen, erklärte ich, dass ich nach meinen E -Mails sehen wollte, während sie Abendessen kochte. Natürlich hatte mir Webb nicht geschrieben. (Warum auch?) Aber ich musste ihm etwas erzählen.
Von: CocoChi@com
An: Webbn@com
Betreff: Wie das Leben die Kunst nachahmt und umgekehrt
Hi Webb. Wenn ich müde bin, dann musst Du völlig fertig sein. Du bist hoffentlich nicht im Zug eingeschlafen und in Italien aufgewacht. Hoffentlich verzeihst Du mir außerdem, dass ich Dir nicht mehr Geld angeboten habe. Ich hätte Deine Bahnreise zur Hälfte bezahlen sollen. Ich weiß, dass die Fahrkarten nicht billig waren. Und es war toll von Dir, Dich auf den Weg zu mir zu machen.:)
Du liebe Güte. Ich löschte den letzten Satz und fing einen neuen Absatz an.
Meine Mom und ich haben den Nachmittag im Louvre verbracht. Ich war zu müde, um geradeaus zu gucken, aber Mom wollte unbedingt hin. Ich bin froh, dass wir hingegangen sind, denn eines der Gemälde dort sah genau so aus, wie ich mich die ganze Zeit, die wir (soll heißen Du und ich) zusammen waren, gefühlt habe. Das Gemälde stammt von Jean-Antoine Watteau und trägt den Titel Pierrot . Es zeigt einen Jungen in einem albernen weißen Clownsanzug. Vielleicht ist es auch ein Hasenkostüm. Bin mir nicht sicher, ist jedenfalls ein lächerlicher Aufzug und wird durch ein Paar alberne Schlappschuhe mit Seidenbändern noch schlimmer. Der Junge sieht aus, als könnte er vorher mal gelacht haben, doch nun ist ihm das Lachen vergangen, und er steht nur noch da, sieht beknackt aus und fühlt sich so, als stünde er auf der Bühne und hätte plötzlich seinen Text vergessen. Oder als wäre er auf einer Party im Glauben, es sei ein Kostümfest, und hätte sich deshalb in diesen peinlichen Fummel geschmissen, nur um festzustellen, dass es gar kein Kostümfest ist. Und jetzt steht er eben da wie ein Depp im Hasenkostüm.
Ich bin wohl deshalb schlagartig vor diesem Bild stehen geblieben, weil es mir mit Dir ganz genau so gegangen ist: Ich kam mir wie ein alberner Clown vor. Ich konnte beim besten Willen kein Substantiv und Verb aneinanderhängen. Ich fühlte mich wie die allerübelste und zickigste Ausgabe meiner selbst. Ergibt das irgendeinen Sinn?
Ich las die Nachricht noch einmal. Nein, sie ergab keinerlei Sinn. Ich löschte sie, noch ehe ich sie abgeschickt hatte, und ging zurück zur Wohnung.
Ich konnte nicht anders. Ich rief Daisy an jenem Abend erneut an, nachdem wir vom Essen zurück waren.
»Mir ist klar, dass ich jede der Menschheit bekannte Regel des Werbens verletze, indem ich dich heute zum zweiten Mal anrufe, aber ich muss dir die Besprechung der Ausstellung in der El País von heute vorlesen«, begann ich.
»Will ich unbedingt hören.«
Ich vernahm ein Scheppern im Hintergrund. »Störe ich bei irgendwas?«
»Nein, nein. Ich koche nur Abendessen.«
»Ich kann auch später anrufen.«
»Nicht nötig«, sagte sie. »Ich kann kochen und zugleich reden. Bitte lies mir die Besprechung vor.«
»Gut.« Ich räusperte mich ausgiebig. » Liebe im postdigitalen Zeitalter wurde gestern Abend im Kristallpalast im Retiro-Park eröffnet …«
»Halt mal«, unterbrach sie. »Wieso ist die Besprechung nicht auf Spanisch, wenn sie in einer spanischen Zeitung steht?«
»Ich hab sie hier im Hotel von jemandem übersetzen lassen«, erklärte ich. »Darf ich fortfahren?«
»Ich bitte drum.«
Ich räusperte mich abermals. »Die Ausstellung will aufzeigen, wie moderne Technik die Kunst, sich zu verlieben, verändert hat, und tut dies mit einer Auswahl interaktiver Kunstwerke, die sich technischer Spielereien des späten zwanzigsten und frühen einundzwanzigsten Jahrhunderts bedienen. Ein Lebewohl an Liebesbriefe aus Pergament und Tinte. Hallo zur Liebe per SMS , E -Mail und Handygespräch. Insgesamt mehr als hundert Computerbildschirme sollen deutlich machen, wie die Technik unsere Vorstellung von Liebe umformt. Zu den Glanzstücken der Ausstellung gehört die interaktive Arbeit Spin the Cell Phone des kanadischen Künstlers/Gamers Tad Tordent, der sein Publikum einlädt, das Werk ganz so zu ›bespielen‹ wie Jungverliebte heute das Feld des Dating. Hervorzuheben ist auch Por NO graphy von Juan Tomás Alvarez: In diesem Werk stellt er den Bildern seiner Lebensgefährtin pornografische Fotos unbekannter Frauen gegenüber, die durch listige digitale Effekte das Abbild der Geliebten zu zerstören suchen.«
Ich hörte ein lautes Krachen am anderen Ende der Leitung.
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