Verliebt und zugenäht!: Roman (German Edition)
Versuch einer Standpauke war. Das Display des Mobiltelefons drohte tatsächlich mit satten »fünfzehn Anrufe in Abwesenheit«, die natürlich allesamt vom »Kreuzstich«-Apparat getätigt worden waren.
Aber davon ließ sich Emma nicht einschüchtern. Beflügelt von der elektrisierenden Begegnung, die ihren Vormittag so unerwartet bereichert hatte, betrat sie geradezu mutig das Geschäft. Die Stichsäge stand am Ladentisch und trommelte mit ihren Fingernägeln auf den Kunststoff, so als wollte sie zu Emmas aktuellem Sturm der Gefühle das passende Regen-Geräusch beisteuern.
»Na, das wurde ja auch langsam Zeit«, zischte sie spitz.
Aus dem Augenwinkel sah Emma, dass Mona und Jasmin in der Werkstatt bereits die Köpfe einzogen in Erwartung des nun unweigerlich folgenden Donnerwetters. Doch sie dachte gar nicht daran, dieses widerstandslos über sich ergehen zu lassen. Wer gerade erlebt hatte, wie beeindruckend angenehm und ruhig andere Chefs mit ihren Mitarbeitern umgingen, der konnte sich dem jetzt nicht so einfach ausliefern. Außerdem gab es ja sozusagen »stichhaltige« Gründe, warum es ein kleines bisschen länger gedauert hatte.
»Es tut mir wirklich außerordentlich leid«, begann sie vorsichtig, um nicht sofort alles zu verderben, »aber als ich in diesem Studio ankam, bat man mich, kurz mal einzuspringen.« Das klang doch gar nicht schlecht und war nicht einmal gelogen.
Die Stichsäge staunte offensichtlich wirklich, denn sie zog nur skeptisch die linke Augenbraue hoch und schwieg. Na los, Emma, jetzt musste noch mehr kommen.
»Es war gerade Not am Mann, da die Schauspielerin, die unser Hochzeitskleid tragen sollte, nicht gekommen war.« Das klang, als hätten die Serienprofis einer Schneiderin die Rolle der Braut gegeben. Gut so.
In Laden und Werkstatt war es nun mucksmäuschenstill. Keine Nähmaschine ratterte, kein Bügeleisen schnaubte. Ein wenig genoss Emma die Aufmerksamkeit, die ihr auf einmal entgegengebracht wurde. Eigentlich war sie in der Werkstatt sonst meistens diejenige, die wegen ihrer verträumten Art und ihrem Eigensinn nur selten die Lorbeeren einheimste.
Je länger jedoch die neugierigen Augen aller Anwesenden wie kleine Scheinwerfer auf sie gerichtet waren, desto mehr bekam sie Angst vor der eigenen Courage. So toll waren ihre Erlebnisse der vergangenen Stunden nun auch wieder nicht gewesen. Wenn man mal von dem Blitz- und Donnerschlag absah, der ihr ganzes Leben dauerhaft verändern würde. Aber den konnte und wollte sie natürlich nicht erwähnen. Trotzdem musste sie die Geschichte notgedrungen noch ein wenig aufbauschen, wenn sie mit heiler Haut aus der Sache herauskommen wollte.
»Als ich ankam, war alles in heller Aufregung, weil diese berühmte Schauspielerin im Stau stand. Und das, wo sie doch das Kleid noch unbedingt vor dem Dreh hätte anziehen müssen, um es für die Szene zu präparieren.« Die anderen, selbst die Stichsäge, schwiegen ergriffen. »Da fragte man mich, ob ich kurz einspringen könnte, weil ich als Einzige die passende Figur hatte. Alles ging so schnell, es war nicht einmal Zeit zu telefonieren.«
Am Hals der Chefin waren rote Flecken zu sehen, sie schien kurz vor der Schnappatmung. Doch sie verkniff sich ganz gegen ihre sonstige Art jeden Kommentar. Noch. Die Kolleginnen kamen gespannt näher.
»Jedenfalls musste ich ans Filmset, weil der Regisseur die Szene einrichten wollte. Danach erschien endlich Sabine, die Schauspielerin, ich wurde nicht mehr gebraucht und durfte gehen.« Emma kam sich vor wie die Drehbuchautorin eines ihrer Lieblingsfilme. So richtig gekonnt hatte sie die Geschichte nicht erzählt, doch vielleicht war die Wirkung trotzdem ausreichend. Bang blickte sie die anderen an und wartete auf die Reaktionen.
»Nun gut, ich lasse das ausnahmsweise so gelten«, schnarrte die Stichsäge, »jetzt aber hurtig an die Arbeit, wir haben schon genug Zeit mit diesem Schwachsinn verloren.«
Kein Donnerwetter, keine Standpauke, nicht einmal eine Rüge. Eventuell konnte diese lehrreiche Erfahrung an anderer Stelle noch einmal hilfreich sein. Emma sah sich schon ihr nächstes morgendliches Zuspätkommen durch eine überraschende Begegnung mit Serienregisseur Fürstberg erklären. Und wenn sie erst zusammen waren …
Die drei Schneiderinnen verzogen sich schnellstens in die Werkstatt, aber dort wurde Emma natürlich sofort mit Fragen bestürmt. »Du hast wirklich den Regisseur kennengelernt? Und wie ist der so? Und die Schauspielerin? Welche war das
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