Verliebt und zugenäht!: Roman (German Edition)
hatten.
Immerhin hatte der kurzzeitige Adrenalinschub dazu geführt, dass Emma keinerlei Anzeichen von Erschöpfung oder Schlafdefizit mehr verspürte. Das Casting konnte ruhig kommen. Sie war bereit – soweit sie das überhaupt sein konnte.
Für vierzehn Uhr hatte sie bei der Stichsäge schon vor einigen Tagen einen Arzttermin angemeldet, den diese überraschenderweise auch sofort genehmigt hatte. In der Zeit zwischen Faschings- und Sommersaison war in der Schneiderei ohnehin nicht besonders viel Arbeit zu erwarten, da konnte selbst die gestrenge Chefin gefahrlos großzügig sein. Also gab es kein Zurück mehr. Emma musste sich jetzt auf den Weg machen, wenn sie nicht wollte, dass Jo sie für den größten Feigling unter der Sonne hielt – oder ihr Geheimnis entdeckte. Beides wäre Happy-End-technisch ein Fiasko.
Mit besten Vorsätzen stand Emma wenig später vor dem imposanten gläsernen Kasten, in dem sie, die unbedeutende Schneiderin, einen Termin für ein Werbecasting hatte. Auf zwei sehr hohen Säulen schwebte das längliche Gebäude wie ein Luftschiff über ihr und den anderen Bürogebäuden, die in der Nähe des Ostbahnhofs neu gebaut worden waren. Staunend legte Emma den Kopf in den Nacken und betrachtete das Wunderwerk aus strahlend weißem Beton, schwarzen Verstrebungen und schier unendlichen Glasflächen. In diesem Moment wurde ihr bewusst, dass sie diesmal wirklich hoch hinauswollte. Hoffentlich nicht zu hoch …
Eine leise Panik überfiel sie, und um ein Haar wäre sie auf dem Absatz umgekehrt – Jo hin oder her. Doch dann fasste sie sich ein Herz und betrat das Gebäude. Am Empfang schickte man sie auf Ebene acht, und kurz darauf stieg sie hoch über der Stadt aus dem Aufzug. Hinter den fast vollständig verglasten Außenwänden bot sich ein herrliches München-Panorama. Emma wäre sehr gerne stehen geblieben, um zu schauen, wäre sie nur nicht so aufgeregt gewesen.
An einem elegant geschwungenen, weiß lackierten Tresen saß eine auffallend geschminkte Frau, die noch sehr jung war. Sie winkte alle Neuankömmlinge zu sich und empfing jeden mit dem gleichen Spruch im immer gleichen Tonfall: »Hallo, du kommst zum Casting?«
Gleich darauf fragte sie: »Name?«
Anschließend bekamen die Bewerber von ihr einige Blätter in die Hand gedrückt und durften sich zu den bereits Wartenden setzen. Um die vierzig Frauen und Männer zwischen zwanzig und dreißig saßen da wie die Hühner auf der Stange und waren mit dem Ausfüllen der Fragebögen beschäftigt.
»Die Identitätsblätter ausfüllen und bei mir wieder abgeben, den Rest behalten«, wurde auch Emma ziemlich unfreundlich angewiesen.
Sie setzte sich zu den anderen, traute sich jedoch kaum, nach rechts oder links zu schauen. Dann betrachtete sie die Zettel in ihrer Hand genauer. Der erste war ein eingehender Fragebogen zu ihrer Person, auf dem man sogar Allergien angeben musste. Zum Glück konnte Emma »keine« ankreuzen, eine der wenigen Antworten, die sie ohne zu lügen geben konnte. Außerdem hatte ihr der unfreundliche Paradiesvogel noch ein Blatt Papier gegeben, auf dem ihr Name stand. Der war ausnahmsweise keine Lüge, daher hätte sie ihn in keinem Fall schriftlich gebraucht. Hoffentlich dauerte das hier nicht allzu lange. Schließlich hatte sie sich lediglich für einen Routine-Arztbesuch von der Arbeit entschuldigen lassen.
»Emma Jacobi, bitte.« Jetzt war die Zeit doch wie im Fluge vergangen. Gerade eben erst hatte sie die ausgefüllten Bögen an der Theke abgegeben, schon war sie an der Reihe. Ein gut aussehender junger Mann führte sie durch einen schlauchartigen Raum, vorbei an unzähligen Schreibtischen mit emsig tippenden Menschen und dem wunderschönen Panorama von München, zu einem Büro am anderen Ende. Etwas rüde schob er sie hinein und schloss hinter ihr hastig die Tür.
In einem kurzen Gedankenblitz durchzuckte Emma ein Dialogfetzen aus Pretty Woman . »Wenn ich da oben war, hab ich gedacht, dass ich eine Prinzessin bin, die von einer bösen Königin im Turm gefangen gehalten wird«, sagt Vivian über den Dachboden ihres Elternhauses. Tja, dachte Emma, hier wird sicher kein Ritter auf einem Schimmel angeritten kommen und mich retten. Ich muss mir leider selbst helfen.
»Hallo, Emma, ich bin David, der Regisseur. Würdest du uns bitte ein wenig über dich erzählen?« Der Typ, der auf sie zukam, war vermutlich kaum älter als sie, Emma schätzte ihn auf Mitte dreißig. Doch auf den ersten Blick wirkte er äußerst
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