Verliebt, verlobt, verflucht
ihn Natalie und Gingin wunderschön. Das braune Gestein funkelte geheimnisvoll, die aus Marmor gehauenen Drachenköpfe spien zwar kein Wasser mehr, doch schienen sie miteinander zu flüstern. Furchtlos kletterte Natalie über den Beckenrand, durchwatete in ihren Stiefeln das halbvolle Becken und gelangte so an die Spitze des Brunnens, wo sie in den schaurigsten Drachenkopf griff, um die Zunge zu berühren. Sie diente als eine Art Hebel. Weder Natalie noch Gingin wussten, warum dieser Mechanismus dort eingebaut war, sie waren vor ein paar Monaten durch Zufall darauf gestoßen. Natalie hörte das vertraute Klicken, und sofort sprudelte violett gefärbtes Wasser aus dem Drachenkopf und vertrieb die braune Brühe.
»Niemand hat so einen hübschen Treffpunkt wie wir«, stellte Gingin fest und zog ihre Stiefel aus. »Aaah, das tut gut«, sagte sie und tauchte ihre Füßlein das Wasser. »Ständig auf diesen Absätzen zu laufen ist wirklich der Horror.«
»Deine Elbenfüße sind eben nicht dafür gebaut, du solltest nicht so hohe Hacken tragen«, tadelte sie Natalie und betrachtete die roten Schwielen an Gingins zarten Füßen.
»Ach, papperlapapp, das müssen sie aushalten.«
»Ist dir das Brunnenwasser nicht zu kalt? Es ist schließlich aus dem Meer und wir haben Anfang Oktober …«
»Nö, nicht im Geringsten. Aber du weißt doch, dank meiner Elbengene bin ich da nicht so zimperlich - im Gegensatz zu dir.« Gingin spritzte mit ihren Füßen Wasser auf Natalie.
»Iiih, lass das!«, kreischte sie, Gingin kicherte.
Natalie hielt ihre Hände zur Verteidigung hoch und watete durch den Brunnen in Richtung Gingin.
»Hihi, du Angsthase, ich tu dir schon nichts«, kicherte Gingin.
Natalie ließ ihre Hände fallen und streckte ihr die Zunge heraus.
»Sei nicht gleich so beleidigt! Setz dich zu mir und zeig mir endlich den Brief!«, bettelte Gingin.
Natalie setzte sich neben Gingin und kramte in ihrer Schultasche. Sie zitterte leicht, als sie den Brief öffnete und wieder die krakelige, ein wenig kindliche Handschrift erblickte. In schwarzen Lettern verfasst, hatte ihr der Brief eine schlaflose Nacht bereitet.
»Pass auf, ich lese dir vor.«
Anschließend sah Natalie Gingin erwartungsvoll an, die etwas perplex wirkte. »Und, was meinst du?«, fragte Natalie. »Eigenartig, oder?«
»Hmm«, machte Gingin nur und wirkte noch immer leicht verdattert.
»Ich kenne keinen Artus. Dieser Typ spricht in Rätseln – ich hab mich noch nie von einem Kerl verabschieden müssen ... Das ist alles ziemlich mysteriös.« Natalie begutachtete das Papier von allen Seiten. »Und die Tinte sieht aus, als wäre sie mit Asche vermischt worden, und …«, sie hielt ihn sich an die Nase, »der Brief riecht nach Ruß!«
Sie hielt ihn Gingin auffordernd hin, die mit ihrer spitzen Elbennase ebenfalls dran schnüffelte. »Eindeutig, er riecht nach Ruß ... seltsam.« Sie prustete los: »Vielleicht ist dein Verehrer ein Kaminkehrer, hahaha!«
»Haha«, machte Natalie trocken. »Nein, im Ernst, so kommen wir nicht weiter.«
»Wie wäre es denn«, überlegte Gingin laut. »Wenn wir einen Experten in Sachen Tinte fragen? Vielleicht kommen wir dann auf eine Spur zu deinem mysteriösen Verehrer.«
»Keine schlechte Idee, ich kann mir schon vorstellen, wen du meinst«, erwiderte Natalie. »Ich nehme an, du denkst an eine Blaue Elfe?«
»Genau, wir sollten zum Staper gehen die Elfe Lulipert fragen. Oder wir warten bis morgen und fragen Warenis ...«
»Die kleine Elfe würde uns sicherlich mit Freude weiterhelfen- allerdings würde es dann auch Ariane samt ihrer Hühnerschar mitbekommen«, gab Natalie zu bedenken.
»Gut, dann gehen wir zuerst zum Staper und besuchen Lulipert«, sagte Gingin und sprang leichtfüßig auf.
Natalie richtete sich etwas träge auf. »Wie kannst du nur ständig so viel Energie haben?«
»Das liegt an meinen Elbengenen ...«, trällerte Gingin.
»Schön für dich, meine Gene sagen mir jetzt, ich brauche dringend was zu essen!«
»Wir können doch auf dem Weg zum Staper beim Stehimbiss ›Happa Happa‹ einen kurzen Halt machen. Er hat immer so leckere Teigtaschen gefüllt mit Mangogelee und Krabbenfleisch, mmh!«
»Einverstanden«, sagte Natalie und lief los. »Worauf wartest du?«
Gingin schüttelte den Kopf. »Du bist echt einfach zu steuern! Das nächste Mal binde ich einen Apfelkringel an einen Faden und locke dich damit durch die Stadt.«
6. Kapitel
Der Staper
Kurze Zeit später standen Natalie und Gingin
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